Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 331 |
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01 | einem Gefühl der Beförderung des gesammten Lebens des Menschen, mithin | ||||||
02 | auch des körperlichen Wohlbefindens, d. i. der Gesundheit, zu bestehen; | ||||||
03 | so daß Epikur, der alles Vergnügen im Grunde für körperliche Empfindung | ||||||
04 | ausgab, sofern vielleicht nicht Unrecht haben mag und sich nur selbst | ||||||
05 | mißverstand, wenn er das intellectuelle und selbst praktische Wohlgefallen | ||||||
06 | zu den Vergnügen zählte. Wenn man den letztern Unterschied vor Augen | ||||||
07 | hat, so kann man sich erklären, wie ein Vergnügen dem, der es empfindet, | ||||||
08 | selbst mißfallen könne (wie die Freude eines dürftigen, aber wohldenkenden | ||||||
09 | Menschen über die Erbschaft von seinem ihn liebenden, aber kargen | ||||||
10 | Vater), oder wie ein tiefer Schmerz dem, der ihn leidet, doch gefallen | ||||||
11 | könne (die Traurigkeit einer Wittwe über ihres verdienstvollen Mannes | ||||||
12 | Tod), oder wie ein Vergnügen obenein noch gefallen könne (wie das an | ||||||
13 | Wissenschaften, die wir treiben), oder ein Schmerz (z. B. Haß, Neid und | ||||||
14 | Rachgierde) uns noch dazu mißfallen könne. Das Wohlgefallen oder | ||||||
15 | Mißfallen beruht hier auf der Vernunft und ist mit der Billigung oder | ||||||
16 | Mißbilligung einerlei; Vergnügen und Schmerz aber können nur auf | ||||||
17 | dem Gefühl oder der Aussicht auf ein (aus welchem Grunde es auch sei) | ||||||
18 | mögliches Wohl= oder Übelbefinden beruhen. | ||||||
19 | Alles wechselnde freie Spiel der Empfindungen (die keine Absicht | ||||||
20 | zum Grunde haben) vergnügt, weil es das Gefühl der Gesundheit befördert: | ||||||
21 | wir mögen nun in der Vernunftbeurtheilung an seinem Gegenstande und | ||||||
22 | selbst an diesem Vergnügen ein Wohlgefallen haben oder nicht; und dieses | ||||||
23 | Vergnügen kann bis zum Affect steigen, obgleich wir an dem Gegenstande | ||||||
24 | selbst kein Interesse, wenigstens kein solches nehmen, was dem Grad des | ||||||
25 | letztern proportionirt wäre. Wir können sie ins Glücksspiel, Tonspiel | ||||||
26 | und Gedankenspiel eintheilen. Das erste fordert ein Interesse, es | ||||||
27 | sei der Eitelkeit oder des Eigennutzes, welches aber bei weitem nicht so | ||||||
28 | groß ist, als das Interesse an der Art, wie wir es uns zu verschaffen suchen; | ||||||
29 | das zweite bloß den Wechsel der Empfindungen, deren jede ihre Beziehung | ||||||
30 | auf Affect, aber ohne den Grad eines Affects hat und ästhetische | ||||||
31 | Ideen rege macht; das dritte entspringt bloß aus dem Wechsel der Vorstellungen | ||||||
32 | in der Urtheilskraft, wodurch zwar kein Gedanke, der irgend ein | ||||||
33 | Interesse bei sich führte, erzeugt, das Gemüth aber doch belebt wird. | ||||||
34 | Wie vergnügend die Spiele sein müssen, ohne daß man nöthig hätte | ||||||
35 | interessirte Absicht dabei zum Grunde zu legen, zeigen alle unsere Abendgesellschaften; | ||||||
36 | denn ohne Spiel kann sich beinahe keine unterhalten. Aber | ||||||
37 | die Affecten der Hoffnung, der Furcht, der Freude, des Zorns, des Hohns | ||||||
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