Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 304 |
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01 | noch nicht sofort die Geschicklichkeit hat, gehört in so weit zur Kunst. | ||||||
02 | Camper beschreibt sehr genau, wie der beste Schuh beschaffen sein müßte, | ||||||
03 | aber er konnte gewiß keinen machen*). | ||||||
04 | 3) Wird auch Kunst vom Handwerke unterschieden; die erste heißt | ||||||
05 | freie, die andere kann auch Lohnkunst heißen. Man sieht die erste so | ||||||
06 | an, als ob sie nur als Spiel, d. i. Beschäftigung, die für sich selbst angenehm | ||||||
07 | ist, zweckmäßig ausfallen (gelingen) könne; die zweite so, daß sie als | ||||||
08 | Arbeit, d. i. Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm (beschwerlich) | ||||||
09 | und nur durch ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend ist, mithin zwangsmäßig | ||||||
10 | auferlegt werden kann. Ob in der Rangliste der Zünfte Uhrmacher | ||||||
11 | für Künstler, dagegen Schmiede für Handwerker gelten sollen: das bedarf | ||||||
12 | eines andern Gesichtspunkts der Beurtheilung, als derjenige ist, den wir | ||||||
13 | hier nehmen; nämlich die Proportion der Talente, die dem einen oder | ||||||
14 | anderen dieser Geschäfte zum Grunde liegen müssen. Ob auch unter den | ||||||
15 | sogenannten sieben freien Künsten nicht einige, die den Wissenschaften beizuzählen, | ||||||
16 | manche auch, die mit Handwerken zu vergleichen sind, aufgeführt | ||||||
17 | worden sein möchten: davon will ich hier nicht reden. Daß aber in allen | ||||||
18 | freien Künsten dennoch etwas Zwangsmäßiges, oder, wie man es nennt, | ||||||
19 | ein Mechanismus erforderlich sei, ohne welchen der Geist, der in der | ||||||
20 | Kunst frei sein muß und allein das Werk belebt, gar keinen Körper haben | ||||||
21 | und gänzlich verdunsten würde: ist nicht unrathsam zu erinnern (z. B. in | ||||||
22 | der Dichtkunst die Sprachrichtigkeit und der Sprachreichthum, imgleichen | ||||||
23 | die Prosodie und das Sylbenmaß), da manche neuere Erzieher eine freie | ||||||
24 | Kunst am besten zu befördern glauben, wenn sie allen Zwang von ihr | ||||||
25 | wegnehmen und sie aus Arbeit in bloßes Spiel verwandeln. | ||||||
26 | § 44. |
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27 | Von der schönen Kunst. |
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28 | Es giebt weder eine Wissenschaft des Schönen, sondern nur Kritik, | ||||||
29 | noch schöne Wissenschaft, sondern nur schöne Kunst. Denn was die erstere | ||||||
30 | betrifft, so würde in ihr wissenschaftlich, d. i. durch Beweisgründe, ausgemacht | ||||||
*) In meinen Gegenden sagt der gemeine Mann, wenn man ihm etwa eine solche Aufgabe vorlegt, wie Columbus mit seinem Ei: das ist keine Kunst, es ist nur eine Wissenschaft. D. i. wenn man es weiß, so kann man es; und eben dieses sagt er von allen vorgeblichen Künsten des Taschenspielers. Die des Seiltänzers dagegen wird er gar nicht in Abrede sein, Kunst zu nennen. | |||||||
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