Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 285 |
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Text (Kant):
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| 01 | sollte bestimmen lassen, da es ein Urtheil des Geschmacks und nicht des | ||||||
| 02 | Verstandes oder der Vernunft sein soll. | ||||||
| 03 | Es scheint, daß dieses eine der Hauptursachen sei, weswegen man | ||||||
| 04 | dieses ästhetische Beurtheilungsvermögen gerade mit dem Namen des | ||||||
| 05 | Geschmacks belegt hat. Denn es mag mir jemand alle Ingredienzien | ||||||
| 06 | eines Gerichts herzählen und von jedem bemerken, daß jedes derselben | ||||||
| 07 | mir sonst angenehm sei, auch obenein die Gesundheit dieses Essens mit | ||||||
| 08 | Recht rühmen; so bin ich gegen alle diese Gründe taub, versuche das Gericht | ||||||
| 09 | an meiner Zunge und meinem Gaumen: und darnach (nicht nach | ||||||
| 10 | allgemeinen Principien) fälle ich mein Urtheil. | ||||||
| 11 | In der That wird das Geschmacksurtheil durchaus immer als ein | ||||||
| 12 | einzelnes Urtheil vom Object gefällt. Der Verstand kann durch die Vergleichung | ||||||
| 13 | des Objects im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urtheile | ||||||
| 14 | anderer ein allgemeines Urtheil machen: z. B. alle Tulpen sind schön; | ||||||
| 15 | aber das ist alsdann kein Geschmacks=, sondern ein logisches Urtheil, welches | ||||||
| 16 | die Beziehung eines Objects auf den Geschmack zum Prädicate der | ||||||
| 17 | Dinge von einer gewissen Art überhaupt macht; dasjenige aber, wodurch | ||||||
| 18 | ich eine einzelne gegebene Tulpe schön, d. i. mein Wohlgefallen an derselben | ||||||
| 19 | allgemeingültig, finde, ist allein das Geschmacksurtheil. Dessen | ||||||
| 20 | Eigenthümlichkeit besteht aber darin: daß, ob es gleich bloß subjective | ||||||
| 21 | Gültigkeit hat, es dennoch alle Subjecte so in Anspruch nimmt, als es | ||||||
| 22 | nur immer geschehen könnte, wenn es ein objectives Urtheil wäre, das auf | ||||||
| 23 | Erkenntnißgründen beruht und durch einen Beweis könnte erzwungen | ||||||
| 24 | werden. | ||||||
| 25 | § 34. |
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| 26 | Es ist kein objectives Princip des Geschmacks möglich. |
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| 27 | Unter einem Princip des Geschmacks würde man einen Grundsatz | ||||||
| 28 | verstehen, unter dessen Bedingung man den Begriff eines Gegenstandes | ||||||
| 29 | subsumiren und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß | ||||||
| 30 | er schön sei. Das ist aber schlechterdings unmöglich. Denn ich muß unmittelbar | ||||||
| 31 | an der Vorstellung desselben die Lust empfinden, und sie kann | ||||||
| 32 | mir durch keine Beweisgründe angeschwatzt werden. Obgleich also Kritiker, | ||||||
| 33 | wie Hume sagt, scheinbarer vernünfteln können als Köche, so haben sie | ||||||
| 34 | doch mit diesen einerlei Schicksal. Den Bestimmungsgrund ihres Urtheils | ||||||
| 35 | können sie nicht von der Kraft der Beweisgründe, sondern nur von der | ||||||
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