Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 273 |
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| 01 | an sich, kann aber zum Schönen der Sinnesart gezählt werden. Daher | ||||||
| 02 | sind die Rührungen, welche bis zum Affect stark werden können, auch | ||||||
| 03 | sehr verschieden. Man hat muthige, man hat zärtliche Rührungen. | ||||||
| 04 | Die letztern, wenn sie bis zum Affect steigen, taugen gar nichts; der Hang | ||||||
| 05 | dazu heißt die Empfindelei. Ein theilnehmender Schmerz, der sich nicht | ||||||
| 06 | will trösten lassen, oder auf den wir uns, wenn er erdichtete Übel betrifft, | ||||||
| 07 | bis zur Täuschung durch die Phantasie, als ob es wirkliche wären, vorsätzlich | ||||||
| 08 | einlassen, beweiset und macht eine weiche, aber zugleich schwache | ||||||
| 09 | Seele, die eine schöne Seite zeigt und zwar phantastisch, aber nicht einmal | ||||||
| 10 | enthusiastisch genannt werden kann. Romane, weinerliche Schauspiele, | ||||||
| 11 | schale Sittenvorschriften, die mit (obzwar fälschlich) sogenannten | ||||||
| 12 | edlen Gesinnungen tändeln, in der That aber das Herz welk und für die | ||||||
| 13 | strenge Vorschrift der Pflicht unempfindlich, aller Achtung für die Würde | ||||||
| 14 | der Menschheit in unserer Person und das Recht der Menschen (welches | ||||||
| 15 | ganz etwas anderes als ihre Glückseligkeit ist) und überhaupt aller festen | ||||||
| 16 | Grundsätze unfähig machen; selbst ein Religionsvortrag, welcher kriechende, | ||||||
| 17 | niedrige Gunstbewerbung und Einschmeichelung empfiehlt, die alles Vertrauen | ||||||
| 18 | auf eigenes Vermögen zum Widerstande gegen das Böse in uns | ||||||
| 19 | aufgiebt, statt der rüstigen Entschlossenheit, die Kräfte, die uns bei aller | ||||||
| 20 | unserer Gebrechlichkeit doch noch übrig bleiben, zu Überwindung der Neigungen | ||||||
| 21 | zu versuchen; die falsche Demuth, welche in der Selbstverachtung, | ||||||
| 22 | in der winselnden erheuchelten Reue und einer bloß leidenden Gemüthsfassung | ||||||
| 23 | die Art setzt, wie man allein dem höchsten Wesen gefällig werden | ||||||
| 24 | könne: vertragen sich nicht einmal mit dem, was zur Schönheit, weit weniger | ||||||
| 25 | aber noch mit dem, was zur Erhabenheit der Gemüthsart gezählt | ||||||
| 26 | werden könnte. | ||||||
| 27 | Aber auch stürmische Gemüthsbewegungen, sie mögen nun unter dem | ||||||
| 28 | Namen der Erbauung mit Ideen der Religion, oder als bloß zur Cultur | ||||||
| 29 | gehörig mit Ideen, die ein gesellschaftliches Interesse enthalten, verbunden | ||||||
| 30 | werden, können, so sehr sie auch die Einbildungskraft spannen, keinesweges | ||||||
| 31 | auf die Ehre einer erhabenen Darstellung Anspruch machen, wenn sie | ||||||
| 32 | nicht eine Gemüthsstimmung zurücklassen, die, wenn gleich nur indirect, | ||||||
| 33 | auf das Bewußtsein seiner Stärke und Entschlossenheit zu dem, was reine | ||||||
| 34 | intellectuelle Zweckmäßigkeit bei sich führt (dem Übersinnlichen), Einfluß | ||||||
| 35 | hat. Denn sonst gehören alle diese Rührungen nur zur Motion, welche | ||||||
| 36 | man der Gesundheit wegen gerne hat. Die angenehme Mattigkeit, welche | ||||||
| 37 | auf eine solche Rüttelung durch das Spiel der Affecten folgt, ist ein Genu | ||||||
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