Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 262 |
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| 01 | kann, wobei die Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich | ||||||
| 02 | der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte, auf solche Weise wird die | ||||||
| 03 | Natur in unserm ästhetischen Urtheile nicht, sofern sie furchterregend ist, | ||||||
| 04 | als erhaben beurtheilt, sondern weil sie unsere Kraft (die nicht Natur ist) | ||||||
| 05 | in uns aufruft, um das, wofür wir besorgt sind, (Güter, Gesundheit und | ||||||
| 06 | Leben) als klein und daher ihre Macht (der wir in Ansehung dieser Stücke | ||||||
| 07 | allerdings unterworfen sind) für uns und unsere Persönlichkeit demungeachtet | ||||||
| 08 | doch für keine solche Gewalt anzusehen, unter die wir uns zu beugen | ||||||
| 09 | hätten, wenn es auf unsre höchste Grundsätze und deren Behauptung oder | ||||||
| 10 | Verlassung ankäme. Also heißt die Natur hier erhaben, bloß weil sie | ||||||
| 11 | die Einbildungskraft zu Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in welchen | ||||||
| 12 | das Gemüth die eigene Erhabenheit seiner Bestimmung selbst über die | ||||||
| 13 | Natur sich fühlbar machen kann. | ||||||
| 14 | Diese Selbstschätzung verliert dadurch nichts, daß wir uns sicher sehen | ||||||
| 15 | müssen, um dieses begeisternde Wohlgefallen zu empfinden; mithin, weil | ||||||
| 16 | es mit der Gefahr nicht ernst ist, es auch (wie es scheinen möchte) mit | ||||||
| 17 | der Erhabenheit unseres Geistesvermögens eben so wenig ernst sein möchte. | ||||||
| 18 | Denn das Wohlgefallen betrifft hier nur die sich in solchem Falle entdeckende | ||||||
| 19 | Bestimmung unseres Vermögens, so wie die Anlage zu demselben | ||||||
| 20 | in unserer Natur ist; indessen daß die Entwickelung und Übung | ||||||
| 21 | desselben uns überlassen und obliegend bleibt. Und hierin ist Wahrheit, | ||||||
| 22 | so sehr sich auch der Mensch, wenn er seine Reflexion bis dahin erstreckt, | ||||||
| 23 | seiner gegenwärtigen wirklichen Ohnmacht bewußt sein mag. | ||||||
| 24 | Dieses Princip scheint zwar zu weit hergeholt und vernünftelt, mithin | ||||||
| 25 | für ein ästhetisches Urtheil überschwenglich zu sein: allein die Beobachtung | ||||||
| 26 | des Menschen beweiset das Gegentheil, und daß es den gemeinsten | ||||||
| 27 | Beurtheilungen zum Grunde liegen kann, ob man sich gleich desselben | ||||||
| 28 | nicht immer bewußt ist. Denn was ist das, was selbst dem Wilden ein | ||||||
| 29 | Gegenstand der größten Bewunderung ist? Ein Mensch, der nicht erschrickt, | ||||||
| 30 | der sich nicht fürchtet, also der Gefahr nicht weicht, zugleich aber | ||||||
| 31 | mit völliger Überlegung rüstig zu Werke geht. Auch im allergesittetsten | ||||||
| 32 | Zustande bleibt diese vorzügliche Hochachtung für den Krieger; nur daß | ||||||
| 33 | man noch dazu verlangt, daß er zugleich alle Tugenden des Friedens, | ||||||
| 34 | Sanftmuth, Mitleid und selbst geziemende Sorgfalt für seine eigne Person, | ||||||
| 35 | beweise: eben darum weil daran die Unbezwinglichkeit seines Gemüths | ||||||
| 36 | durch Gefahr erkannt wird. Daher mag man noch so viel in der Vergleichung | ||||||
| 37 | des Staatsmanns mit dem Feldherrn über die Vorzüglichkeit der | ||||||
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