Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 259 |
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| 01 | Progressus der Einbildungskraft wieder aufhebt und das Zugleichsein | ||||||
| 02 | anschaulich macht. Sie ist also (da die Zeitfolge eine Bedingung des | ||||||
| 03 | innern Sinnes und einer Anschauung ist) eine subjective Bewegung der | ||||||
| 04 | Einbildungskraft, wodurch sie dem innern Sinne Gewalt anthut, die desto | ||||||
| 05 | merklicher sein muß, je größer das Quantum ist, welches die Einbildungskraft | ||||||
| 06 | in eine Anschauung zusammenfaßt. Die Bestrebung also, ein Ma | ||||||
| 07 | für Größen in eine einzelne Anschauung aufzunehmen, welches aufzufassen | ||||||
| 08 | merkliche Zeit erfordert, ist eine Vorstellungsart, welche, subjectiv betrachtet, | ||||||
| 09 | zweckwidrig, objectiv aber zur Größenschätzung erforderlich, mithin | ||||||
| 10 | zweckmäßig ist: wobei aber doch eben dieselbe Gewalt, die dem Subjecte | ||||||
| 11 | durch die Einbildungskraft widerfährt, für die ganze Bestimmung | ||||||
| 12 | des Gemüths als zweckmäßig beurtheilt wird. | ||||||
| 13 | Die Qualität des Gefühls des Erhabenen ist: daß sie ein Gefühl | ||||||
| 14 | der Unlust über das ästhetische Beurtheilungsvermögen an einem Gegenstande | ||||||
| 15 | ist, die darin doch zugleich als zweckmäßig vorgestellt wird; welches | ||||||
| 16 | dadurch möglich ist, daß das eigne Unvermögen das Bewußtsein eines | ||||||
| 17 | unbeschränkten Vermögens desselben Subjects entdeckt, und das Gemüth | ||||||
| 18 | das letztere nur durch das erstere ästhetisch beurtheilen kann. | ||||||
| 19 | In der logischen Größenschätzung ward die Unmöglichkeit, durch den | ||||||
| 20 | Progressus der Messung der Dinge der Sinnenwelt in Zeit und Raum | ||||||
| 21 | jemals zur absoluten Totalität zu gelangen, für objectiv, d. i. eine Unmöglichkeit, | ||||||
| 22 | das Unendliche als gegeben zu denken, und nicht als bloß | ||||||
| 23 | subjectiv, d. i. als Unvermögen es zu fassen, erkannt: weil da auf den | ||||||
| 24 | Grad der Zusammenfassung in eine Anschauung als Maß gar nicht gesehen | ||||||
| 25 | wird, sondern alles auf einen Zahlbegriff ankommt. Allein in einer | ||||||
| 26 | ästhetischen Größenschätzung muß der Zahlbegriff wegfallen oder verändert | ||||||
| 27 | werden, und die Comprehension der Einbildungskraft zur Einheit | ||||||
| 28 | des Maßes (mithin mit Vermeidung der Begriffe von einem Gesetze der | ||||||
| 29 | successiven Erzeugung der Größenbegriffe) ist allein für sie zweckmäßig. | ||||||
| 30 | - Wenn nun eine Größe beinahe das Äußerste unseres Vermögens der | ||||||
| 31 | Zusammenfassung in eine Anschauung erreicht, und die Einbildungskraft | ||||||
| 32 | doch durch Zahlgrößen (für die wir uns unseres Vermögens als unbegränzt | ||||||
| 33 | bewußt sind) zur ästhetischen Zusammenfassung in eine größere | ||||||
| 34 | Einheit aufgefordert wird, so fühlen wir uns im Gemüth als ästhetisch in | ||||||
| 35 | Gränzen eingeschlossen; aber die Unlust wird doch in Hinsicht auf die | ||||||
| 36 | nothwendige Erweiterung der Einbildungskraft zur Angemessenheit mit | ||||||
| 37 | dem, was in unserm Vermögen der Vernunft unbegränzt ist, nämlich der | ||||||
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