Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 255 |
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| 01 | dessen Idee eines Noumenons, welches selbst keine Anschauung verstattet, | ||||||
| 02 | aber doch der Weltanschauung, als bloßer Erscheinung, zum Substrat untergelegt | ||||||
| 03 | wird, wird das Unendliche der Sinnenwelt in der reinen intellectuellen | ||||||
| 04 | Größenschätzung unter einem Begriffe ganz zusammengefaßt, | ||||||
| 05 | obzwar es in der mathematischen durch Zahlenbegriffe nie ganz gedacht | ||||||
| 06 | werden kann. Selbst ein Vermögen, sich das Unendliche der übersinnlichen | ||||||
| 07 | Anschauung als (in seinem intelligibelen Substrat) gegeben | ||||||
| 08 | denken zu können, übertrifft allen Maßstab der Sinnlichkeit und ist über | ||||||
| 09 | alle Vergleichung selbst mit dem Vermögen der mathematischen Schätzung | ||||||
| 10 | groß; freilich wohl nicht in theoretischer Absicht zum Behuf des Erkenntnißvermögens, | ||||||
| 11 | aber doch als Erweiterung des Gemüths, welches die | ||||||
| 12 | Schranken der Sinnlichkeit in anderer (der praktischen) Absicht zu überschreiten | ||||||
| 13 | sich vermögend fühlt. | ||||||
| 14 | Erhaben ist also die Natur in derjenigen ihrer Erscheinungen, deren | ||||||
| 15 | Anschauung die Idee ihrer Unendlichkeit bei sich führt. Dieses letztere | ||||||
| 16 | kann nun nicht anders geschehen, als durch die Unangemessenheit selbst | ||||||
| 17 | der größten Bestrebung unserer Einbildungskraft in der Größenschätzung | ||||||
| 18 | eines Gegenstandes. Nun ist aber für die mathematische Größenschätzung | ||||||
| 19 | die Einbildungskraft jedem Gegenstande gewachsen, um für dieselbe ein | ||||||
| 20 | hinlängliches Maß zu geben, weil die Zahlbegriffe des Verstandes durch | ||||||
| 21 | Progression jedes Maß einer jeden gegebenen Größe angemessen machen | ||||||
| 22 | können. Also muß es die ästhetische Größenschätzung sein, in welcher die | ||||||
| 23 | Bestrebung zur Zusammenfassung, die das Vermögen der Einbildungskraft | ||||||
| 24 | überschreitet, die progressive Auffassung in ein Ganzes der Anschauung | ||||||
| 25 | zu begreifen, gefühlt und dabei zugleich die Unangemessenheit dieses | ||||||
| 26 | im Fortschreiten unbegränzten Vermögens wahrgenommen wird, ein mit | ||||||
| 27 | dem mindesten Aufwande des Verstandes zur Größenschätzung taugliches | ||||||
| 28 | Grundmaß zu fassen und zur Größenschätzung zu gebrauchen. Nun ist | ||||||
| 29 | das eigentliche unveränderliche Grundmaß der Natur das absolute Ganze | ||||||
| 30 | derselben, welches bei ihr als Erscheinung zusammengefaßte Unendlichkeit | ||||||
| 31 | ist. Da aber dieses Grundmaß ein sich selbst widersprechender Begriff | ||||||
| 32 | ist (wegen der Unmöglichkeit der absoluten Totalität eines Progressus | ||||||
| 33 | ohne Ende): so muß diejenige Größe eines Naturobjects, an welcher die | ||||||
| 34 | Einbildungskraft ihr ganzes Vermögen der Zusammenfassung fruchtlos | ||||||
| 35 | verwendet, den Begriff der Natur auf ein übersinnliches Substrat (welches | ||||||
| 36 | ihr und zugleich unserm Vermögen zu denken zum Grunde liegt) führen, | ||||||
| 37 | welches über allen Maßstab der Sinne groß ist und daher nicht sowohl | ||||||
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