Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 254 |
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Text (Kant):
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| 01 | die Größe des Maßes, mithin der Zusammenfassung des Vielen in | ||||||
| 02 | eine Anschauung bis zur Gränze des Vermögens der Einbildungskraft | ||||||
| 03 | und so weit, wie diese in Darstellungen nur immer reichen mag, zu treiben | ||||||
| 04 | nöthigte. Denn in der Verstandesschätzung der Größen (der Arithmetik) | ||||||
| 05 | kommt man eben so weit, ob man die Zusammenfassung der Einheiten | ||||||
| 06 | bis zur Zahl 10 (in der Dekadik), oder nur bis 4 (in der Tetraktik) | ||||||
| 07 | treibt; die weitere Größenerzeugung aber im Zusammensetzen, oder, wenn | ||||||
| 08 | das Quantum in der Anschauung gegeben ist, im Auffassen bloß progressiv | ||||||
| 09 | (nicht comprehensiv) nach einem angenommenen Progressionsprincip | ||||||
| 10 | verrichtet. Der Verstand wird in dieser mathematischen Größenschätzung | ||||||
| 11 | eben so gut bedient und befriedigt, ob die Einbildungskraft zur | ||||||
| 12 | Einheit eine Größe, die man in einem Blick fassen kann, z. B. einen | ||||||
| 13 | Fuß oder Ruthe, oder ob sie eine deutsche Meile, oder gar einen Erddurchmesser, | ||||||
| 14 | deren Auffassung zwar, aber nicht die Zusammenfassung in eine | ||||||
| 15 | Anschauung der Einbildungskraft (nicht durch die comprehensio aesthetica , | ||||||
| 16 | obzwar gar wohl durch comprehensio logica in einem Zahlbegriff) | ||||||
| 17 | möglich ist, wähle. In beiden Fällen geht die logische Größenschätzung | ||||||
| 18 | ungehindert ins Unendliche. | ||||||
| 19 | Nun aber hört das Gemüth in sich auf die Stimme der Vernunft, | ||||||
| 20 | welche zu allen gegebenen Größen, selbst denen, die zwar niemals ganz | ||||||
| 21 | aufgefaßt werden können, gleichwohl aber (in der sinnlichen Vorstellung) | ||||||
| 22 | als ganz gegeben beurtheilt werden, Totalität fordert, mithin Zusammenfassung | ||||||
| 23 | in eine Anschauung und für alle jene Glieder einer fortschreitend | ||||||
| 24 | wachsenden Zahlreihe Darstellung verlangt und selbst das Unendliche | ||||||
| 25 | (Raum und verflossene Zeit) von dieser Forderung nicht ausnimmt, vielmehr | ||||||
| 26 | es unvermeidlich macht, sich dasselbe (in dem Urtheile der gemeinen | ||||||
| 27 | Vernunft) als ganz (seiner Totalität nach) gegeben zu denken. | ||||||
| 28 | Das Unendliche aber ist schlechthin (nicht bloß comparativ) groß. | ||||||
| 29 | Mit diesem verglichen, ist alles andere (von derselben Art Größen) klein. | ||||||
| 30 | Aber, was das Vornehmste ist, es als ein Ganzes auch nur denken zu | ||||||
| 31 | können, zeigt ein Vermögen des Gemüths an, welches allen Maßstab der | ||||||
| 32 | Sinne übertrifft. Denn dazu würde eine Zusammenfassung erfordert | ||||||
| 33 | werden, welche einen Maßstab als Einheit lieferte, der zum Unendlichen | ||||||
| 34 | ein bestimmtes, in Zahlen angebliches Verhältniß hätte: welches unmöglich | ||||||
| 35 | ist. Das gegebene Unendliche aber dennoch ohne Widerspruch auch | ||||||
| 36 | nur denken zu können, dazu wird ein Vermögen, das selbst übersinnlich | ||||||
| 37 | ist, im menschlichen Gemüthe erfordert. Denn nur durch dieses und | ||||||
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