Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 248

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
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A.

     
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Vom Mathematisch=Erhabenen.

     
           
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§ 25.

     
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Namenerklärung des Erhabenen.

     
           
  05 Erhaben nennen wir das, was schlechthin groß ist. Groß sein      
  06 aber und eine Größe sein, sind ganz verschiedene Begriffe ( magnitudo und      
  07 quantitas ). Imgleichen schlechtweg ( simpliciter ) sagen, daß etwas      
  08 groß sei, ist auch ganz was anderes als sagen, daß es schlechthin groß      
  09 ( absolute, non comparative magnum ) sei. Das letztere ist das, was über      
  10 alle Vergleichung groß ist. - Was will nun aber der Ausdruck, daß      
  11 etwas groß, oder klein, oder mittelmäßig sei, sagen? Ein reiner Verstandesbegriff      
  12 ist es nicht, was dadurch bezeichnet wird; noch weniger eine      
  13 Sinnenanschauung; und eben so wenig ein Vernunftbegriff, weil es gar      
  14 kein Princip der Erkenntniß bei sich führt. Es muß also ein Begriff der      
  15 Urtheilskraft sein, oder von einem solchen abstammen und eine subjective      
  16 Zweckmäßigkeit der Vorstellung in Beziehung auf die Urtheilskraft zum      
  17 Grunde legen. Daß etwas eine Größe ( quantum ) sei, läßt sich aus dem      
  18 Dinge selbst ohne alle Vergleichung mit andern erkennen: wenn nämlich      
  19 Vielheit des Gleichartigen zusammen Eines ausmacht. Wie groß es      
  20 aber sei, erfordert jederzeit etwas anderes, welches auch Größe ist, zu      
  21 seinem Maße. Weil es aber in der Beurtheilung der Größe nicht bloß      
  22 auf die Vielheit (Zahl), sondern auch auf die Größe der Einheit (des      
  23 Maßes) ankommt, und die Größe dieser letztern immer wiederum etwas      
  24 anderes als Maß bedarf, womit sie verglichen werden könne: so sehen      
  25 wir, daß alle Größenbestimmung der Erscheinungen schlechterdings keinen      
  26 absoluten Begriff von einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff      
  27 liefern könne.      
           
  28 Wenn ich nun schlechtweg sage, daß etwas groß sei, so scheint es,      
  29 daß ich gar keine Vergleichung im Sinne habe, wenigstens mit keinem      
  30 objectiven Maße, weil dadurch gar nicht bestimmt wird, wie groß der Gegenstand      
  31 sei. Ob aber gleich der Maßstab der Vergleichung bloß subjectiv      
  32 ist, so macht das Urtheil nichts desto weniger auf allgemeine Beistimmung      
  33 Anspruch; die Urtheile: der Mann ist schön, und: er ist groß, schränken      
  34 sich nicht bloß auf das urtheilende Subject ein, sondern verlangen      
  35 gleich theoretischen Urtheilen jedermanns Beistimmung.      
           
           
     

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