Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 208

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gegen einander ausgetauscht werden können. Das Angenehme, das als ein      
  02 solches den Gegenstand lediglich in Beziehung auf den Sinn vorstellt, mu      
  03 allererst durch den Begriff eines Zwecks unter Principien der Vernunft      
  04 gebracht werden, um es als Gegenstand des Willens gut zu nennen. Da      
  05 dieses aber alsdann eine Ganz andere Beziehung auf das Wohlgefallen      
  06 sei, wenn ich das, was vergnügt, zugleich gut nenne, ist daraus zu ersehen,      
  07 daß beim Guten immer die Frage ist, ob es blos mittelbar=gut oder      
  08 unmittelbar=gut (ob nützlich oder an sich gut) sei; da hingegen beim Angenehmen      
  09 hierüber gar nicht die Frage sein kann, indem das Wort jederzeit      
  10 etwas bedeutet, was unmittelbar gefällt. (Eben so ist es auch mit dem,      
  11 was ich schön nenne, bewandt.)      
           
  12 Selbst in den gemeinsten Reden unterscheidet man das Angenehme      
  13 vom Guten. Von einem durch Gewürze und andere Zusätze den Geschmack      
  14 erhebenden Gerichte sagt man ohne Bedenken, es sei angenehm, und gesteht      
  15 zugleich, daß es nicht gut sei: weil es zwar unmittelbar den Sinnen      
  16 behagt, mittelbar aber, d. i. durch die Vernunft, die auf die Folgen hinaus      
  17 sieht, betrachtet, mißfällt. Selbst in der Beurtheilung der Gesundheit      
  18 kann man noch diesen Unterschied bemerken. Sie ist jedem, der sie besitzt,      
  19 unmittelbar angenehm (wenigstens negativ, d. i. als Entfernung aller      
  20 körperlichen Schmerzen). Aber um zu sagen, daß sie gut sei, muß man sie      
  21 noch durch die Vernunft auf Zwecke richten, nämlich daß sie ein Zustand      
  22 ist, der uns zu allen unseren Geschäften aufgelegt macht. In Absicht der      
  23 Glückseligkeit glaubt endlich doch jedermann, die größte Summe (der Menge      
  24 sowohl als Dauer nach) der Annehmlichkeiten des Lebens ein wahres, ja      
  25 sogar das höchste Gut nennen zu können. Allein auch dawider sträubt sich      
  26 die Vernunft. Annehmlichkeit ist Genuß. Ist es aber auf diesen allein      
  27 angelegt, so wäre es thöricht, scrupulös in Ansehung der Mittel zu sein,      
  28 die ihn uns verschaffen, ob er leidend, von der Freigebigkeit der Natur, oder      
  29 durch Selbstthätigkeit und unser eignes Wirken erlangt wäre. Daß aber      
  30 eines Menschen Existenz an sich einen Werth habe, welcher blos lebt (und      
  31 in dieser Absicht noch so sehr geschäftig ist), um zu genießen, sogar wenn      
  32 er dabei Andern, die alle eben so wohl nur aufs Genießen ausgehen, als      
  33 Mittel dazu aufs beste beförderlich wäre und zwar darum, weil er durch      
  34 Sympathie alles Vergnügen mit genösse: das wird sich die Vernunft nie      
  35 überreden lassen. Nur durch das, was er thut ohne Rücksicht auf Genuß,      
  36 in voller Freiheit und unabhängig von dem, was ihm die Natur auch leidend      
  37 verschaffen könnte, giebt er seinem Dasein als der Existenz einer Person      
           
     

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