Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 173 |
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01 | einem besonderen Theile derselben gehört, oder die Feldmeßkunst den Namen | ||||||
02 | einer praktischen Geometrie zum Unterschiede von der reinen als ein | ||||||
03 | zweiter Theil der Geometrie überhaupt verdient: so und noch weniger darf | ||||||
04 | die mechanische oder chemische Kunst der Experimente oder der Beobachtungen | ||||||
05 | für einen praktischen Theil der Naturlehre, endlich die Haus=, | ||||||
06 | Land=, Staatswirthschaft, die Kunst des Umganges, die Vorschrift der | ||||||
07 | Diätetik, selbst nicht die allgemeine Glückseligkeitslehre, sogar nicht einmal | ||||||
08 | die Bezähmung der Neigungen und Bändigung der Affecten zum | ||||||
09 | Behuf der letzteren zur praktischen Philosophie gezählt werden, oder die | ||||||
10 | letzteren wohl gar den zweiten Theil der Philosophie überhaupt ausmachen; | ||||||
11 | weil sie insgesammt nur Regeln der Geschicklichkeit, die mithin | ||||||
12 | nur technisch=praktisch sind, enthalten, um eine Wirkung hervorzubringen, | ||||||
13 | die nach Naturbegriffen der Ursachen und Wirkungen möglich ist, welche, | ||||||
14 | da sie zur theoretischen Philosophie gehören, jenen Vorschriften als bloßen | ||||||
15 | Corollarien aus derselben (der Naturwissenschaft) unterworfen sind und | ||||||
16 | also keine Stelle in einer besonderen Philosophie, die praktische genannt, | ||||||
17 | verlangen können. Dagegen machen die moralisch=praktischen Vorschriften, | ||||||
18 | die sich gänzlich auf dem Freiheitsbegriffe mit völliger Ausschließung der | ||||||
19 | Bestimmungsgründe des Willens aus der Natur gründen, eine ganz besondere | ||||||
20 | Art von Vorschriften aus: welche auch gleich den Regeln, welchen | ||||||
21 | die Natur gehorcht, schlechthin Gesetze heißen, aber nicht wie diese auf | ||||||
22 | sinnlichen Bedingungen, sondern auf einem übersinnlichen Princip beruhen | ||||||
23 | und neben dem theoretischen Theile der Philosophie für sich ganz | ||||||
24 | allein einen anderen Theil unter dem Namen der praktischen Philosophie | ||||||
25 | fordern. | ||||||
26 | Man sieht hieraus, daß ein Inbegriff praktischer Vorschriften, welche | ||||||
27 | die Philosophie giebt, nicht einen besonderen, dem theoretischen zur Seite | ||||||
28 | gesetzten Theil derselben darum ausmache, weil sie praktisch sind; denn | ||||||
29 | das könnten sie sein, wenn ihre Principien gleich gänzlich aus der theoretischen | ||||||
30 | Erkenntniß der Natur hergenommen wären (als technisch=praktische | ||||||
31 | Regeln); sondern, weil und wenn ihr Princip gar nicht vom Naturbegriffe, | ||||||
32 | der jederzeit sinnlich bedingt ist, entlehnt ist, mithin auf dem | ||||||
33 | Übersinnlichen, welches der Freiheitsbegriff allein durch formale Gesetze | ||||||
34 | kennbar macht, beruht, und sie also moralisch=praktisch, d. i. nicht bloß | ||||||
35 | Vorschriften und Regeln in dieser oder jener Absicht, sondern ohne vorhergehende | ||||||
36 | Bezugnehmung auf Zwecke und Absichten Gesetze sind. | ||||||
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