Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 162 |
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| 01 | verhüllt, oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise suchen | ||||||
| 02 | und blos vermuthen; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar | ||||||
| 03 | mit dem Bewußtsein meiner Existenz. Das erste fängt von dem Platze | ||||||
| 04 | an, den ich in der äußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, | ||||||
| 05 | darin ich stehe, ins unabsehlich Große mit Welten über Welten | ||||||
| 06 | und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer | ||||||
| 07 | periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt | ||||||
| 08 | von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, an und stellt mich | ||||||
| 09 | in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande | ||||||
| 10 | spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen | ||||||
| 11 | sichtbaren Welten) ich mich nicht wie dort in blos zufälliger, sondern allgemeiner | ||||||
| 12 | und nothwendiger Verknüpfung erkenne. Der erstere Anblick | ||||||
| 13 | einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als | ||||||
| 14 | eines thierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem | ||||||
| 15 | Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem | ||||||
| 16 | es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. | ||||||
| 17 | Der zweite erhebt dagegen meinen Werth, als einer Intelligenz, | ||||||
| 18 | unendlich durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir | ||||||
| 19 | ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges | ||||||
| 20 | Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung | ||||||
| 21 | meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen | ||||||
| 22 | und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, | ||||||
| 23 | abnehmen läßt. | ||||||
| 24 | Allein Bewunderung und Achtung können zwar zur Nachforschung | ||||||
| 25 | reizen, aber den Mangel derselben nicht ersetzen. Was ist nun zu thun, | ||||||
| 26 | um diese auf nutzbare und der Erhabenheit des Gegenstandes angemessene | ||||||
| 27 | Art anzustellen? Beispiele mögen hiebei zur Warnung, aber auch zur | ||||||
| 28 | Nachahmung dienen. Die Weltbetrachtung fing von dem herrlichsten | ||||||
| 29 | Anblicke an, den menschliche Sinne nur immer vorlegen und unser Verstand | ||||||
| 30 | in ihrem weiten Umfange zu verfolgen nur immer vertragen kann, | ||||||
| 31 | und endigte - mit der Sterndeutung. Die Moral fing mit der edelsten | ||||||
| 32 | Eigenschaft in der menschlichen Natur an, deren Entwickelung und Cultur | ||||||
| 33 | auf unendlichen Nutzen hinaussieht, und endigte - mit der Schwärmerei, | ||||||
| 34 | oder dem Aberglauben. So geht es allen noch rohen Versuchen, in denen | ||||||
| 35 | der vornehmste Theil des Geschäftes auf den Gebrauch der Vernunft ankommt, | ||||||
| 36 | der nicht so wie der Gebrauch der Füße sich von selbst vermittelst | ||||||
| 37 | der öftern Ausübung findet, vornehmlich wenn er Eigenschaften betrifft, | ||||||
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