Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 146 |
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| 01 | reinen praktischen Vernunft für die Annehmung eines weisen Welturhebers | ||||||
| 02 | entscheidet: so ist das Princip, was unser Urtheil hierin bestimmt, zwar | ||||||
| 03 | subjectiv als Bedürfniß, aber auch zugleich als Beförderungsmittel | ||||||
| 04 | dessen, was objectiv (praktisch) nothwendig ist, der Grund einer Maxime | ||||||
| 05 | des Fürwahrhaltens in moralischer Absicht, d. i. ein reiner praktischer | ||||||
| 06 | Vernunftglaube. Dieser ist also nicht geboten, sondern als freiwillige, | ||||||
| 07 | zur moralischen (gebotenen) Absicht zuträgliche, überdem noch mit dem | ||||||
| 08 | theoretischen Bedürfnisse der Vernunft einstimmige Bestimmung unseres | ||||||
| 09 | Urtheils, jene Existenz anzunehmen und dem Vernunftgebrauch ferner | ||||||
| 10 | zum Grunde zu legen, selbst aus der moralischen Gesinnung entsprungen; | ||||||
| 11 | kann also öfters selbst bei Wohlgesinnten bisweilen in Schwanken, niemals | ||||||
| 12 | aber in Unglauben gerathen. | ||||||
| 13 | IX |
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| 14 | Von der der praktischen Bestimmung des Menschen |
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| 15 | weislich angemessenen Proportion seiner |
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| 16 | Erkenntnißvermögen. |
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| 17 | Wenn die menschliche Natur zum höchsten Gute zu streben bestimmt | ||||||
| 18 | ist, so muß auch das Maß ihrer Erkenntnißvermögen, vornehmlich ihr | ||||||
| 19 | Verhältniß unter einander, als zu diesem Zwecke schicklich angenommen | ||||||
| 20 | werden. Nun beweiset aber die Kritik der reinen speculativen Vernunft | ||||||
| 21 | die größte Unzulänglichkeit derselben, um die wichtigsten Aufgaben, die | ||||||
| 22 | ihr vorgelegt werden, dem Zwecke angemessen aufzulösen, ob sie zwar die | ||||||
| 23 | natürlichen und nicht zu übersehenden Winke eben derselben Vernunft, | ||||||
| 24 | imgleichen die großen Schritte, die sie thun kann, nicht verkennt, um sich | ||||||
| 25 | diesem großen Ziele, das ihr ausgesteckt ist, zu näheren, aber doch, ohne | ||||||
| 26 | es jemals für sich selbst sogar mit Beihülfe der größten Naturkenntniß zu | ||||||
| 27 | erreichen. Also scheint die Natur hier uns nur stiefmütterlich mit einem | ||||||
| 28 | zu unserem Zwecke benöthigten Vermögen versorgt zu haben. | ||||||
| 29 | Gesetzt nun, sie wäre hierin unserem Wunsche willfährig gewesen | ||||||
| 30 | und hätte uns diejenige Einsichtsfähigkeit oder Erleuchtung ertheilt, die | ||||||
| 31 | wir gerne besitzen möchten, oder in deren Besitz einige wohl gar wähnen | ||||||
| 32 | sich wirklich zu befinden, was würde allem Ansehn nach wohl die Folge | ||||||
| 33 | hievon sein? Wofern nicht zugleich unsere ganze Natur umgeändert wäre, | ||||||
| 34 | so würden die Neigungen, die doch allemal das erste Wort haben, zuerst | ||||||
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