Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 144 |
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01 | Um bei dem Gebrauche eines noch so ungewohnten Begriffs, als der | ||||||
02 | eines reinen praktischen Vernunftglaubens ist, Mißdeutungen zu verhüten, | ||||||
03 | sei mir erlaubt noch eine Anmerkung hinzuzufügen. - Es sollte fast | ||||||
04 | scheinen, als ob dieser Vernunftglaube hier selbst als Gebot angekündigt | ||||||
05 | werde, nämlich das höchste Gut für möglich anzunehmen. Ein Glaube | ||||||
06 | aber, der geboten wird, ist ein Unding. Man erinnere sich aber der obigen | ||||||
07 | Auseinandersetzung dessen, was im Begriffe des höchsten Guts anzunehmen | ||||||
08 | verlangt wird, und man wird inne werden, daß diese Möglichkeit anzunehmen | ||||||
09 | gar nicht geboten werden dürfe, und keine praktische Gesinnungen | ||||||
10 | fordere, sie einzuräumen, sondern daß speculative Vernunft sie ohne | ||||||
11 | Gesuch zugeben müsse; denn daß eine dem moralischen Gesetze angemessene | ||||||
12 | Würdigkeit der vernünftigen Wesen in der Welt, glücklich zu sein, mit einem | ||||||
13 | dieser proportionirten Besitze dieser Glückseligkeit in Verbindung an sich | ||||||
14 | unmöglich sei, kann doch niemand behaupten wollen. Nun giebt uns in | ||||||
15 | Ansehung des ersten Stücks des höchsten Guts, nämlich was die Sittlichkeit | ||||||
16 | betrifft, das moralische Gesetz blos ein Gebot, und die Möglichkeit jenes | ||||||
17 | Bestandstücks zu bezweifeln, wäre eben so viel, als das moralische Gesetz | ||||||
18 | selbst in Zweifel ziehen. Was aber das zweite Stück jenes Objects, nämlich | ||||||
19 | die jener Würdigkeit durchgängig angemessene Glückseligkeit, betrifft, so | ||||||
20 | ist zwar die Möglichkeit derselben überhaupt einzuräumen gar nicht eines | ||||||
21 | Gebots bedürftig, denn die theoretische Vernunft hat selbst nichts dawider: | ||||||
22 | nur die Art, wie wir uns eine solche Harmonie der Naturgesetze mit denen | ||||||
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