Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 140

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Ich versuche nun diesen Begriff an das Object der praktischen Vernunft      
  02 zu halten, und da finde ich, daß der moralische Grundsatz ihn nur      
  03 als möglich unter Voraussetzung eines Welturhebers von höchster Vollkommenheit      
  04 zulasse. Er muß allwissend sein, um mein Verhalten bis      
  05 zum Innersten meiner Gesinnung in allen möglichen Fällen und in alle      
  06 Zukunft zu erkennen; allmächtig, um ihm die angemessenen Folgen zu      
  07 ertheilen; eben so allgegenwärtig, ewig u. s. w.. Mithin bestimmt das      
  08 moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts, als Gegenstandes      
  09 einer reinen praktischen Vernunft, den Begriff des Urwesens als höchsten      
  10 Wesens, welches der physische (und höher fortgesetzt der metaphysische),      
  11 mithin der ganze speculative Gang der Vernunft nicht bewirken konnte.      
  12 Also ist der Begriff von Gott ein ursprünglich nicht zur Physik, d. i. für      
  13 die speculative Vernunft, sondern zur Moral gehöriger Begriff, und eben      
  14 das kann man auch von den übrigen Vernunftbegriffen sagen, von denen      
  15 wir als Postulaten derselben in ihrem praktischen Gebrauche oben gehandelt      
  16 haben.      
           
  17 Wenn man in der Geschichte der griechischen Philosophie über den      
  18 Anaxagoras hinaus keine deutliche Spuren einer reinen Vernunfttheologie      
  19 antrifft, so ist der Grund nicht darin gelegen, daß es den älteren      
  20 Philosophen an Verstande und Einsicht fehlte, um durch den Weg der      
  21 Speculation wenigstens mit Beihülfe einer ganz vernünftigen Hypothese      
  22 sich dahin zu erheben; was konnte leichter, was natürlicher sein, als der      
  23 sich von selbst jedermann darbietende Gedanke, statt unbestimmter Grade      
  24 der Vollkommenheit verschiedener Weltursachen eine einzige vernünftige      
  25 anzunehmen, die alle Vollkommenheit hat? Aber die Übel in der      
  26 Welt schienen ihnen viel zu wichtige Einwürfe zu sein, um zu einer solchen      
  27 Hypothese sich für berechtigt zu halten. Mithin zeigten sie darin eben Verstand      
  28 und Einsicht, daß sie sich jene nicht erlaubten und vielmehr in den      
  29 Naturursachen herum suchten, ob sie unter ihnen nicht die zu Urwesen erforderliche      
  30 Beschaffenheit und Vermögen antreffen möchten. Aber nachdem      
  31 dieses scharfsinnige Volk so weit in Nachforschungen fortgerückt war, selbst      
  32 sittliche Gegenstände, darüber andere Völker niemals mehr als geschwatzt      
  33 haben, philosophisch zu behandeln: da fanden sie allererst ein neues Bedürfniß,      
  34 nämlich ein praktisches, welches nicht ermangelte ihnen den Begriff      
  35 des Urwesens bestimmt anzugeben, wobei die speculative Vernunft      
  36 das Zusehen hatte, höchstens noch das Verdienst, einen Begriff, der nicht      
  37 auf ihrem Boden erwachsen war, auszuschmücken und mit einem Gefolge      
           
     

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