Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 135 |
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01 | Ansehung des praktischen Gebrauchs der reinen Vernunft zur Erweiterung | ||||||
02 | dieses unseres Erkenntnisses. Die obige drei Ideen der speculativen Vernunft | ||||||
03 | sind an sich noch keine Erkenntnisse; doch sind es (transscendente) | ||||||
04 | Gedanken, in denen nichts unmögliches ist. Nun bekommen sie durch ein | ||||||
05 | apodiktisches praktisches Gesetz, als nothwendige Bedingungen der Möglichkeit | ||||||
06 | dessen, was dieses sich zum Objecte zu machen gebietet, objective | ||||||
07 | Realität, d. i. wir werden durch jenes angewiesen, daß sie Objecte | ||||||
08 | haben, ohne doch, wie sich ihr Begriff auf ein Object bezieht, anzeigen | ||||||
09 | zu können, und das ist auch noch nicht Erkenntniß dieser Objecte; denn | ||||||
10 | man kann dadurch gar nichts über sie synthetisch urtheilen, noch die Anwendung | ||||||
11 | derselben theoretisch bestimmen, mithin von ihnen gar keinen | ||||||
12 | theoretischen Gebrauch der Vernunft machen, als worin eigentlich alle | ||||||
13 | speculative Erkenntniß derselben besteht. Aber dennoch ward das theoretische | ||||||
14 | Erkenntniß zwar nicht dieser Objecte, aber der Vernunft überhaupt | ||||||
15 | dadurch so fern erweitert, daß durch die praktischen Postulate jenen | ||||||
16 | Ideen doch Objecte gegeben wurden, indem ein blos problematischer | ||||||
17 | Gedanke dadurch allererst objective Realität bekam. Also war es keine | ||||||
18 | Erweiterung der Erkenntniß von gegebenen übersinnlichen Gegenständen, | ||||||
19 | aber doch eine Erweiterung der theoretischen Vernunft und der | ||||||
20 | Erkenntniß derselben in Ansehung des Übersinnlichen überhaupt, so fern | ||||||
21 | als sie genöthigt wurde, daß es solche Gegenstände gebe, einzuräumen, | ||||||
22 | ohne sie doch näher bestimmen, mithin dieses Erkenntniß von den | ||||||
23 | Objecten (die ihr nunmehr aus praktischem Grunde und auch nur zum | ||||||
24 | praktischen Gebrauche gegeben worden) selbst erweitern zu können, welchen | ||||||
25 | Zuwachs also die reine theoretische Vernunft, für die alle jene Ideen | ||||||
26 | transscendent und ohne Object sind, lediglich ihrem reinen praktischen | ||||||
27 | Vermögen zu verdanken hat. Hier werden sie immanent und constitutiv, | ||||||
28 | indem sie Gründe der Möglichkeit sind, das nothwendige Object | ||||||
29 | der reinen praktischen Vernunft (das höchste Gut) wirklich zu machen, | ||||||
30 | da sie ohne dies transscendent und blos regulative Principien der | ||||||
31 | speculativen Vernunft sind, die ihr nicht ein neues Object über die Erfahrung | ||||||
32 | hinaus anzunehmen, sondern nur ihren Gebrauch in der Erfahrung | ||||||
33 | der Vollständigkeit zu näheren auferlegen. Ist aber die Vernunft | ||||||
34 | einmal im Besitze dieses Zuwachses, so wird sie als speculative Vernunft | ||||||
35 | (eigentlich nur zur Sicherung ihres praktischen Gebrauchs) negativ, d. i. | ||||||
36 | nicht erweiternd, sondern läuternd, mit jenen Ideen zu Werke gehen, um | ||||||
37 | einerseits den Anthropomorphism als den Quell der Superstition, | ||||||
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