Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 115 |
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01 | am moralischen Gesetze einen rein intellectuellen Bestimmungsgrund | ||||||
02 | meiner Causalität (in der Sinnenwelt) habe, so ist es nicht unmöglich, | ||||||
03 | daß die Sittlichkeit der Gesinnung einen, wo nicht unmittelbaren, doch | ||||||
04 | mittelbaren (vermittelst eines intelligibelen Urhebers der Natur) und zwar | ||||||
05 | nothwendigen Zusammenhang als Ursache mit der Glückseligkeit als Wirkung | ||||||
06 | in der Sinnenwelt habe, welche Verbindung in einer Natur, die | ||||||
07 | blos Object der Sinne ist, niemals anders als zufällig stattfinden und | ||||||
08 | zum höchsten Gut nicht zulangen kann. | ||||||
09 | Also ist unerachtet dieses scheinbaren Widerstreits einer praktischen | ||||||
10 | Vernunft mit sich selbst das höchste Gut der nothwendige höchste Zweck | ||||||
11 | eines moralisch bestimmten Willens, ein wahres Object derselben; denn | ||||||
12 | es ist praktisch möglich, und die Maximen des letzteren, die sich darauf | ||||||
13 | ihrer Materie nach beziehen, haben objective Realität, welche anfänglich | ||||||
14 | durch jene Antinomie in Verbindung der Sittlichkeit mit Glückseligkeit | ||||||
15 | nach einem allgemeinen Gesetze getroffen wurde, aber aus bloßem Mißverstande, | ||||||
16 | weil man das Verhältniß zwischen Erscheinungen für ein Verhältniß | ||||||
17 | der Dinge an sich selbst zu diesen Erscheinungen hielt. | ||||||
18 | Wenn wir uns genöthigt sehen, die Möglichkeit des höchsten Guts, | ||||||
19 | dieses durch die Vernunft allen vernünftigen Wesen ausgesteckten Ziels | ||||||
20 | aller ihrer moralischen Wünsche, in solcher Weite, nämlich in der Verknüpfung | ||||||
21 | mit einer intelligibelen Welt, zu suchen, so muß es befremden, | ||||||
22 | daß gleichwohl die Philosophen alter sowohl als neuer Zeiten die Glückseligkeit | ||||||
23 | mit der Tugend in ganz geziemender Proportion schon in diesem | ||||||
24 | Leben (in der Sinnenwelt) haben finden, oder sich ihrer bewußt zu sein | ||||||
25 | haben überreden können. Denn Epikur sowohl, als die Stoiker erhoben | ||||||
26 | die Glückseligkeit, die aus dem Bewußtsein der Tugend im Leben entspringe, | ||||||
27 | über alles, und der erstere war in seinen praktischen Vorschriften | ||||||
28 | nicht so niedrig gesinnt, als man aus den Principien seiner Theorie, die | ||||||
29 | er zum Erklären, nicht zum Handeln brauchte, schließen möchte, oder wie | ||||||
30 | sie viele, durch den Ausdruck Wollust für Zufriedenheit verleitet, ausdeuteten, | ||||||
31 | sondern rechnete die uneigennützigste Ausübung des Guten mit | ||||||
32 | zu den Genußarten der innigsten Freude, und die Gnügsamkeit und Bändigung | ||||||
33 | der Neigungen, so wie sie immer der strengste Moralphilosoph | ||||||
34 | fordern mag, gehörte mit zu seinem Plane eines Vergnügens (er verstand | ||||||
35 | darunter das stets fröhliche Herz); wobei er von den Stoikern vornehmlich | ||||||
36 | nur darin abwich, daß er in diesem Vergnügen den Bewegungsgrund | ||||||
37 | setzte, welches die letztern, und zwar mit Recht, verweigerten. Denn einestheils | ||||||
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