Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 105 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | wir diese Verknüpfung nicht anzutreffen hoffen, weil die Causalität | ||||||
02 | durch Freiheit immer außer der Sinnenwelt im Intelligibelen gesucht | ||||||
03 | werden muß. Andere Dinge außer den Sinnenwesen sind uns aber zur | ||||||
04 | Wahrnehmung und Beobachtung nicht gegeben. Also blieb nichts übrig, | ||||||
05 | als daß etwa ein unwidersprechlicher und zwar objectiver Grundsatz der | ||||||
06 | Causalität, welcher alle sinnliche Bedingung von ihrer Bestimmung ausschließt, | ||||||
07 | d. i. ein Grundsatz, in welchem die Vernunft sich nicht weiter auf | ||||||
08 | etwas anderes als Bestimmungsgrund in Ansehung der Causalität beruft, | ||||||
09 | sondern den sie durch jenen Grundsatz schon selbst enthält, und wo sie | ||||||
10 | also als reine Vernunft selbst praktisch ist, gefunden werde. Dieser | ||||||
11 | Grundsatz aber bedarf keines Suchens und keiner Erfindung; er ist längst | ||||||
12 | in aller Menschen Vernunft gewesen und ihrem Wesen einverleibt und ist | ||||||
13 | der Grundsatz der Sittlichkeit. Also ist jene unbedingte Causalität und | ||||||
14 | das Vermögen derselben, die Freiheit, mit dieser aber ein Wesen (ich selber), | ||||||
15 | welches zur Sinnenwelt gehört, doch zugleich als zur intelligibelen | ||||||
16 | gehörig nicht blos unbestimmt und problematisch gedacht (welches schon | ||||||
17 | die speculative Vernunft als thunlich ausmitteln konnte), sondern sogar | ||||||
18 | in Ansehung des Gesetzes ihrer Causalität bestimmt und assertorisch | ||||||
19 | erkannt und so uns die Wirklichkeit der intelligibelen Welt, und zwar in | ||||||
20 | praktischer Rücksicht bestimmt, gegeben worden, und diese Bestimmung, | ||||||
21 | die in theoretischer Absicht transscendent (überschwenglich) sein würde, | ||||||
22 | ist in praktischer immanent. Dergleichen Schritt aber konnten wir in | ||||||
23 | Ansehung der zweiten dynamischen Idee, nämlich der eines nothwendigen | ||||||
24 | Wesens, nicht thun. Wir konnten zu ihm aus der Sinnenwelt ohne | ||||||
25 | Vermittelung der ersteren dynamischen Idee nicht hinauf kommen. Denn | ||||||
26 | wollten wir es versuchen, so müßten wir den Sprung gewagt haben, alles | ||||||
27 | das, was uns gegeben ist, zu verlassen und uns zu dem hinzuschwingen, | ||||||
28 | wovon uns auch nichts gegeben ist, wodurch wir die Verknüpfung eines solchen | ||||||
29 | intelligibelen Wesens mit der Sinnenwelt vermitteln könnten (weil | ||||||
30 | das nothwendige Wesen als außer uns gegeben erkannt werden sollte); | ||||||
31 | welches dagegen in Ansehung unseres eignen Subjects, so fern es sich | ||||||
32 | durchs moralische Gesetz einerseits als intelligibeles Wesen (vermöge der | ||||||
33 | Freiheit) bestimmt, andererseits als nach dieser Bestimmung in der | ||||||
34 | Sinnenwelt thätig selbst erkennt, wie jetzt der Augenschein darthut, ganz | ||||||
35 | wohl möglich ist. Der einzige Begriff der Freiheit verstattet es, daß wir | ||||||
36 | nicht außer uns hinausgehen dürfen, um das Unbedingte und Intelligibele | ||||||
37 | zu dem Bedingten und Sinnlichen zu finden. Denn es ist unsere Vernunft | ||||||
[ Seite 104 ] [ Seite 106 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |