Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 101 |
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01 | demjenigen ihren bestimmenden Grund, was gänzlich außer ihrer Gewalt | ||||||
02 | ist, nämlich in der Causalität eines von ihm unterschiedenen höchsten | ||||||
03 | Wesens, von welchem das Dasein des erstern und die ganze Bestimmung | ||||||
04 | seiner Causalität ganz und gar abhängt. In der That: wären | ||||||
05 | die Handlungen des Menschen, so wie sie zu seinen Bestimmungen in der | ||||||
06 | Zeit gehören, nicht bloße Bestimmungen desselben als Erscheinung, sondern | ||||||
07 | als Dinges an sich selbst, so würde die Freiheit nicht zu retten sein. | ||||||
08 | der Mensch wäre Marionette, oder ein Vaucansonsches Automat, gezimmert | ||||||
09 | und aufgezogen von dem obersten Meister aller Kunstwerke, und | ||||||
10 | das Selbstbewußtsein würde es zwar zu einem denkenden Automate | ||||||
11 | machen, in welchem aber das Bewußtsein seiner Spontaneität, wenn sie | ||||||
12 | für Freiheit gehalten wird, bloße Täuschung wäre, indem sie nur comparativ | ||||||
13 | so genannt zu werden verdient, weil die nächsten bestimmenden Ursachen | ||||||
14 | seiner Bewegung und eine lange Reihe derselben zu ihren bestimmenden | ||||||
15 | Ursachen hinauf zwar innerlich sind, die letzte und höchste | ||||||
16 | aber doch gänzlich in einer fremden Hand angetroffen wird. Daher sehe | ||||||
17 | ich nicht ab, wie diejenige, welche noch immer dabei beharren, Zeit und | ||||||
18 | Raum für zum Dasein der Dinge an sich selbst gehörige Bestimmungen | ||||||
19 | anzusehen, hier die Fatalität der Handlungen vermeiden wollen, oder, | ||||||
20 | wenn sie so geradezu (wie der sonst scharfsinnige Mendelssohn that) | ||||||
21 | beide nur als zur Existenz endlicher und abgeleiteter Wesen, aber nicht zu | ||||||
22 | der des unendlichen Urwesens nothwendig gehörige Bedingungen einräumen, | ||||||
23 | sich rechtfertigen wollen, woher sie diese Befugniß nehmen, einen | ||||||
24 | solchen Unterschied zu machen, sogar wie sie auch nur dem Widerspruche | ||||||
25 | ausweichen wollen, den sie begehen, wenn sie das Dasein in der Zeit als | ||||||
26 | den endlichen Dingen an sich nothwendig anhängende Bestimmung ansehen, | ||||||
27 | da Gott die Ursache dieses Daseins ist, er aber doch nicht die Ursache | ||||||
28 | der Zeit (oder des Raums) selbst sein kann (weil diese als nothwendige | ||||||
29 | Bedingung a priori dem Dasein der Dinge vorausgesetzt sein | ||||||
30 | muß), seine Causalität folglich in Ansehung der Existenz dieser Dinge | ||||||
31 | selbst der Zeit nach bedingt sein muß, wobei nun alle die Widersprüche | ||||||
32 | gegen die Begriffe seiner Unendlichkeit und Unabhängigkeit unvermeidlich | ||||||
33 | eintreten müssen. Hingegen ist es uns ganz leicht, die Bestimmung der | ||||||
34 | göttlichen Existenz als unabhängig von allen Zeitbedingungen zum Unterschiede | ||||||
35 | von der eines Wesens der Sinnenwelt als die Existenz eines | ||||||
36 | Wesens an sich selbst von der eines Dinges in der Erscheinung | ||||||
37 | zu unterscheiden. Daher, wenn man jene Idealität der Zeit und des Raums | ||||||
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