| Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 092 | |||||||
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| 01 | Maximen einschleichen möchte, durch das Gefühl des Vergnügens oder | ||||||
| 02 | Schmerzens, das ihm so fern, als es Begierde erregt, nothwendig anhängt, | ||||||
| 03 | sofort kenntlich macht, diesem aber jene reine praktische Vernunft geradezu | ||||||
| 04 | widersteht, es in ihr Princip als Bedingung aufzunehmen. Die Ungleichartigkeit | ||||||
| 05 | der Bestimmungsgründe (der empirischen und rationalen) | ||||||
| 06 | wird durch diese Widerstrebung einer praktisch gesetzgebenden Vernunft | ||||||
| 07 | wider alle sich einmengende Neigung, durch eine eigenthümliche Art von | ||||||
| 08 | Empfindung, welche aber nicht vor der Gesetzgebung der praktischen | ||||||
| 09 | Vernunft vorhergeht, sondern vielmehr durch dieselbe allein und zwar als | ||||||
| 10 | ein Zwang gewirkt wird, nämlich durch das Gefühl einer Achtung, dergleichen | ||||||
| 11 | kein Mensch für Neigungen hat, sie mögen sein, welcher Art sie | ||||||
| 12 | wollen, wohl aber fürs Gesetz, so kenntlich gemacht und so gehoben und | ||||||
| 13 | hervorstechend, daß keiner, auch der gemeinste Menschenverstand in einem | ||||||
| 14 | vorgelegten Beispiele nicht den Augenblick inne werden sollte, daß durch | ||||||
| 15 | empirische Gründe des Wollens ihm zwar ihren Anreizen zu folgen gerathen, | ||||||
| 16 | niemals aber einem anderen als lediglich dem reinen praktischen | ||||||
| 17 | Vernunftgesetze zu gehorchen zugemuthet werden könne. | ||||||
| 18 | Die Unterscheidung der Glückseligkeitslehre von der Sittenlehre, | ||||||
| 19 | in deren ersteren empirische Principien das ganze Fundament, von | ||||||
| 20 | der zweiten aber auch nicht den mindesten Beisatz derselben ausmachen, ist | ||||||
| 21 | nun in der Analytik der reinen praktischen Vernunft die erste und wichtigste | ||||||
| 22 | ihr obliegende Beschäftigung, in der sie so pünktlich, ja, wenn es | ||||||
| 23 | auch hieße, peinlich verfahren muß, als je der Geometer in seinem Geschäfte. | ||||||
| 24 | Es kommt aber dem Philosophen, der hier (wie jederzeit im Vernunfterkenntnisse | ||||||
| 25 | durch bloße Begriffe, ohne Construction derselben) mit | ||||||
| 26 | größerer Schwierigkeit zu kämpfen hat, weil er keine Anschauung (reinem | ||||||
| 27 | Noumen) zum Grunde legen kann, doch auch zu statten: daß er beinahe | ||||||
| 28 | wie der Chemist zu aller Zeit ein Experiment mit jedes Menschen praktischer | ||||||
| 29 | Vernunft anstellen kann, um den moralischen (reinen) Bestimmungsgrund | ||||||
| 30 | vom empirischen zu unterscheiden; wenn er nämlich zu dem empirisch | ||||||
| 31 | afficirten Willen (z. B. desjenigen, der gerne lügen möchte, weil | ||||||
| 32 | er sich dadurch etwas erwerben kann) das moralische Gesetz (als Bestimmungsgrund) | ||||||
| 33 | zusetzt. Es ist, als ob der Scheidekünstler der Solution der | ||||||
| 34 | Kalkerde in Salzgeist Alkali zusetzt; der Salzgeist verläßt sofort den Kalk, | ||||||
| 35 | vereinigt sich mit dem Alkali, und jener wird zu Boden gestürzt. Eben so | ||||||
| 36 | haltet dem, der sonst ein ehrlicher Mann ist (oder sich doch diesmal nur | ||||||
| 37 | in Gedanken in die Stelle eines ehrlichen Mannes versetzt), das moralische | ||||||
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