Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 076

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ihres objectiven Gesetzes vor den Antrieben der Sinnlichkeit, mithin das      
  02 Gewicht des ersteren relativ (in Ansehung eines durch die letztere afficirten      
  03 Willens) durch die Wegschaffung des Gegengewichts im Urtheile der      
  04 Vernunft hervorgebracht wird. Und so ist die Achtung fürs Gesetz nicht      
  05 Triebfeder zur Sittlichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjectiv      
  06 als Triebfeder betrachtet, indem die reine praktische Vernunft dadurch, daß      
  07 sie der Selbstliebe im Gegensatze mit ihr alle Ansprüche abschlägt, dem      
  08 Gesetze, das jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft. Hiebei ist nun zu      
  09 bemerken: daß, so wie die Achtung eine Wirkung aufs Gefühl, mithin auf      
  10 die Sinnlichkeit eines vernünftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit, mithin      
  11 auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das moralische Gesetz Achtung      
  12 auferlegt, voraussetze, und daß einem höchsten, oder auch einem von      
  13 aller Sinnlichkeit freien Wesen, welchem diese also auch kein Hinderni      
  14 der praktischen Vernunft sein kann, Achtung fürs Gesetz nicht beigelegt      
  15 werden könne.      
           
  16 Dieses Gefühl (unter dem Namen des moralischen) ist also lediglich      
  17 durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zu Beurtheilung der Handlungen,      
  18 oder wohl gar zur Gründung des objectiven Sittengesetzes selbst, sondern      
  19 blos zur Triebfeder, um dieses in sich zur Maxime zu machen. Mit welchem      
  20 Namen aber könnte man dieses sonderbare Gefühl, welches mit keinem      
  21 pathologischen in Vergleichung gezogen werden kann, schicklicher belegen?      
  22 Es ist so eigenthümlicher Art, daß es lediglich der Vernunft und zwar      
  23 der praktischen reinen Vernunft zu Gebote zu stehen scheint.      
           
  24 Achtung geht jederzeit nur auf Personen, niemals auf Sachen. Die      
  25 letztere können Neigung und, wenn es Thiere sind (z. B. Pferde, Hunde etc.),      
  26 sogar Liebe, oder auch Furcht, wie das Meer, ein Vulcan, ein Raubthier,      
  27 niemals aber Achtung in uns erwecken. Etwas, was diesem Gefühl      
  28 schon näher tritt, ist Bewunderung, und diese als Affect, das Erstaunen,      
  29 kann auch auf Sachen gehen, z. B. himmelhohe Berge, die Größe,      
  30 Menge und Weite der Weltkörper, die Stärke und Geschwindigkeit mancher      
  31 Thiere u. s. w. Aber alles dieses ist nicht Achtung. Ein Mensch kann mir      
  32 auch ein Gegenstand der Liebe, der Furcht oder der Bewunderung, sogar      
  33 bis zum Erstaunen, und doch darum kein Gegenstand der Achtung sein.      
  34 Seine scherzhafte Laune, sein Muth und Stärke, seine Macht, durch seinen      
  35 Rang, den er unter anderen hat, können mir dergleichen Empfindungen      
  36 einflößen, es fehlt aber immer noch an innerer Achtung gegen ihn. Fontenelle      
  37 sagt: Vor einem Vornehmen bücke ich mich, aber mein Geist      
           
     

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