Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 069

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 (nicht die Handlung in Beziehung auf ihren Erfolg) durchs      
  02 Gesetz allein, ohne einen anderen Bestimmungsgrund, den Begriff der      
  03 Causalität an ganz andere Bedingungen bindet, als diejenige sind, welche      
  04 die Naturverknüpfung ausmachen.      
           
  05 Dem Naturgesetze als Gesetze, welchem die Gegenstände sinnlicher      
  06 Anschauung als solche unterworfen sind, muß ein Schema, d. i. ein allgemeines      
  07 Verfahren der Einbildungskraft (den reinen Verstandesbegriff,      
  08 den das Gesetz bestimmt, den Sinnen a priori darzustellen), correspondiren.      
  09 Aber dem Gesetze der Freiheit (als einer gar nicht sinnlich bedingten Causalität)      
  10 mithin auch dem Begriffe des unbedingt Guten kann keine Anschauung,      
  11 mithin kein Schema zum Behuf seiner Anwendung in concreto      
  12 unterlegt werden. Folglich hat das Sittengesetz kein anderes die Anwendung      
  13 desselben auf Gegenstände der Natur vermittelndes Erkenntnißvermögen,      
  14 als den Verstand (nicht die Einbildungskraft), welcher einer      
  15 Idee der Vernunft nicht ein Schema der Sinnlichkeit, sondern ein Gesetz,      
  16 aber doch ein solches, das an Gegenständen der Sinne in concreto dargestellt      
  17 werden kann, mithin ein Naturgesetz, aber nur seiner Form nach, als      
  18 Gesetz zum Behuf der Urtheilskraft unterlegen kann, und dieses können      
  19 wir daher den Typus des Sittengesetzes nennen.      
           
  20 Die Regel der Urtheilskraft unter Gesetzen der reinen praktischen Vernunft      
  21 ist diese: Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn      
  22 sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Theil wärest, geschehen      
  23 sollte, sie du wohl als durch deinen Willen möglich ansehen könntest.      
  24 Nach dieser Regel beurtheilt in der That jedermann Handlungen, ob sie      
  25 sittlich gut oder böse sind. So sagt man: Wie, wenn ein jeder, wo er      
  26 seinen Vortheil zu schaffen glaubt, sich erlaubte, zu betrügen, oder befugt      
  27 hielte, sich das Leben abzukürzen, so bald ihn ein völliger Überdruß desselben      
  28 befällt, oder anderer Noth mit völliger Gleichgültigkeit ansähe, und      
  29 du gehörtest mit zu einer solchen Ordnung der Dinge, würdest du darin      
  30 wohl mit Einstimmung deines Willens sein? Nun weiß ein jeder wohl:      
  31 daß, wenn er sich ingeheim Betrug erlaubt, darum eben nicht jedermann      
  32 es auch thue, oder, wenn er unbemerkt lieblos ist, nicht sofort jedermann      
  33 auch gegen ihn es sein würde; daher ist diese Vergleichung der      
  34 Maxime seiner Handlungen mit einem allgemeinen Naturgesetze auch nicht      
  35 der Bestimmungsgrund seines Willens. Aber das letztere ist doch ein      
  36 Typus der Beurtheilung der ersteren nach sittlichen Principien. Wenn      
  37 die Maxime der Handlung nicht so beschaffen ist, daß sie an der Form eines      
           
     

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