Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 563 |
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Text (Kant):
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| 01 | ein apodiktischer Beweis der Wahrheit desselben, blos weil daraus absolute Bewegung | ||||||
| 02 | folgen würde, die schlechterdings unmöglich ist. Von der Art ist das Gesetz | ||||||
| 03 | des Antagonisms in aller Gemeinschaft der Materie durch Bewegung. Denn | ||||||
| 04 | eine jede Abweichung von demselben würde den gemeinschaftlichen Mittelpunkt der | ||||||
| 05 | Schwere aller Materie, mithin das ganze Weltgebäude aus der Stelle rücken, | ||||||
| 06 | welches dagegen, wenn man dieses sich als um seine Achse gedreht vorstellen wollte, | ||||||
| 07 | nicht geschehen würde, welche Bewegung also immer noch zu denken möglich, obzwar | ||||||
| 08 | anzunehmen, so viel man absehen kann, ganz ohne begreiflichen Nutzen sein | ||||||
| 09 | würde. | ||||||
| 10 | Auf die verschiedenen Begriffe der Bewegung und bewegenden Kräfte haben | ||||||
| 11 | auch die verschiedenen Begriffe vom leeren Raume ihre Beziehung. Der leere | ||||||
| 12 | Raum in phoronomischer Rücksicht, der auch der absolute Raum heißt, sollte | ||||||
| 13 | billig nicht ein leerer Raum genannt werden; denn er ist nur die Idee von einem | ||||||
| 14 | Raume, in welchem ich von aller besonderen Materie, die ihn zum Gegenstande der | ||||||
| 15 | Erfahrung macht, abstrahire, um in ihm den materiellen, oder jeden empirischen | ||||||
| 16 | Raum noch als beweglich und dadurch die Bewegung nicht blos einseitig als absolutes, | ||||||
| 17 | sondern jederzeit wechselseitig als blos relatives Prädicat zu denken. Er | ||||||
| 18 | ist also gar nichts, was zur Existenz der Dinge, sondern blos zur Bestimmung der | ||||||
| 19 | Begriffe gehört, und so fern existirt kein leerer Raum. Der Leere Raum in dynamischer | ||||||
| 20 | Rücksicht ist der, der nicht erfüllt ist, d. i. worin dem Eindringen des | ||||||
| 21 | Beweglichen nichts anderes Bewegliches widersteht, folglich keine repulsive Kraft | ||||||
| 22 | wirkt, und er kann entweder der leere Raum in der Welt ( vacuum mundanum ), | ||||||
| 23 | oder, wenn diese als begrenzt vorgestellt wird, der leere Raum außer der Welt | ||||||
| 24 | ( vacuum extramundanum ) sein; der erstere auch entweder als zerstreuter ( vacuum | ||||||
| 25 | disseminatum , der nur einen Theil des Volumens der Materie ausmacht), oder | ||||||
| 26 | als gehäufter leerer Raum ( vacuum coacervatum , der die Körper, z. B. Weltkörper, | ||||||
| 27 | von einander absondert) vorgestellt werden, welche Unterscheidung, da sie | ||||||
| 28 | nur auf den Unterschied der Plätze, die man dem leeren Raum in der Welt anweiset, | ||||||
| 29 | beruht, eben nicht wesentlich ist, aber doch in verschiedener Absicht gebraucht wird, | ||||||
| 30 | der erste, um den specifischen Unterschied der Dichtigkeit, der zweite, um die Möglichkeit | ||||||
| 31 | einer von allem äußeren Widerstande freien Bewegung im Weltraume | ||||||
| 32 | davon abzuleiten. Daß den leeren Raum in der ersteren Absicht anzunehmen | ||||||
| 33 | nicht nöthig sei, ist schon in der allgemeinen Anmerkung zur Dynamik gezeigt | ||||||
| 34 | worden; daß er aber unmöglich sei, kann aus seinem Begriffe allein nach dem | ||||||
| 35 | Satze des Widerspruchs keinesweges bewiesen werden. Gleichwohl, wenn hier | ||||||
| 36 | auch kein blos logischer Grund der Verwerfung desselben anzutreffen wäre, könnte | ||||||
| 37 | doch ein allgemeiner physischer Grund, ihn aus der Naturlehre zu verweisen, | ||||||
| 38 | nämlich der von der Möglichkeit der Zusammensetzung einer Materie überhaupt, | ||||||
| 39 | dasein, wenn man die letztere nur besser einsähe. Denn wenn die Anziehung, | ||||||
| 40 | die man zur Erklärung des Zusammenhanges der Materie annimmt, nur scheinbare, | ||||||
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