Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 562 |
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01 | jedem andern ihm in gleicher Entfernung vom Mittelpunkte im Diameter gegenüber | ||||||
02 | liegenden. Denn diese Bewegung ist im absoluten Raume wirklich, indem dadurch | ||||||
03 | der Abgang der gedachten Entfernung, den die Schwere für sich allein dem | ||||||
04 | Körper zuziehen würde, und zwar ohne alle dynamische zurücktreibende Ursache (wie | ||||||
05 | man aus dem von Newton Prin. Ph. N. pag. 10 Edit. 1714*) gewählten Beispiele | ||||||
06 | ersehen kann), mithin durch wirkliche, aber auf den innerhalb der bewegten Materie | ||||||
07 | (nämlich das Centrum derselben) beschlossenen, nicht aber auf den äußeren Raum | ||||||
08 | bezogene Bewegung continuirlich ersetzt wird. | ||||||
09 | Was den Fall des dritten Lehrsatzes anlangt, so bedarf es, um die Wahrheit | ||||||
10 | der wechselseitig=entgegengesetzten und gleichen Bewegung beider Körper auch | ||||||
11 | ohne Rücksicht auf den empirischen Raum zu zeigen, nicht einmal des im zweiten | ||||||
12 | Fall nöthigen, durch Erfahrung gegebenen thätigen dynamischen Einflusses (der | ||||||
13 | Schwere, oder eines gespannten Fadens), sondern die bloße dynamische Möglichkeit | ||||||
14 | eines solchen Einflusses als Eigenschaft der Materie (die Zurückstoßung oder Anziehung) | ||||||
15 | führt bei der Bewegung der einen die gleiche und entgegengesetzte Bewegung | ||||||
16 | der andern zugleich mit sich und zwar aus bloßen Begriffen einer relativen | ||||||
17 | Bewegung, wenn sie im absoluten Raume , d. i. nach der Wahrheit, betrachtet wird, | ||||||
18 | und ist daher wie alles, was aus bloßen Begriffen hinreichend erweislich ist, ein | ||||||
19 | Gesetz einer schlechterdings nothwendigen Gegenbewegung. | ||||||
20 | Es ist also auch keine absolute Bewegung, wenn gleich ein Körper im leeren | ||||||
21 | Raume in Ansehung eines anderen als bewegt gedacht wird; die Bewegung beider | ||||||
22 | wird hier nicht relativ auf den sie umgebenden Raum, sondern nur auf den zwischen | ||||||
23 | ihnen, welcher ihr äußeres Verhältniß unter einander allein bestimmt, als den absoluten | ||||||
24 | Raum betrachtet und ist also wiederum nur relativ. Absolute Bewegung | ||||||
25 | würde also nur diejenige sein, die einem Körper ohne ein Verhältniß auf irgend | ||||||
26 | eine andere Materie zukäme. Eine solche wäre allein die geradlinichte Bewegung | ||||||
27 | des Weltganzen, d. i. des Systems aller Materie. Denn wenn außer einer | ||||||
28 | Materie noch irgend eine andere, selbst durch den leeren Raum getrennte Materie | ||||||
29 | wäre, so würde die Bewegung schon relativ sein. Um deswillen ist ein jeder Beweis | ||||||
30 | eines Bewegungsgesetzes, der darauf hinausläuft, daß das Gegentheil desselben | ||||||
31 | eine geradlinichte Bewegung des ganzen Weltgebäudes zur Folge haben müßte, | ||||||
*) Er sagt daselbst: Motus quidem veros corporum singulorum cognoscere et ab apparentibus actu discriminare difficillimum est: propterea, quod partes spatii illius immobilis, in quo corpora vere moventur, non incurrunt in sensus. Causa tamen non est prorsus desperata. Hierauf läßt er zwei durch einen Faden verknüpfte Kugeln sich um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt im leeren Raume drehen und zeigt, wie die Wirklichkeit ihrer Bewegung sammt der Richtung derselben dennoch durch Erfahrung könne gefunden werden. Ich habe dieses auch an der um ihre Achse bewegten Erde unter etwas veränderten Umständen zu zeigen gesucht. | |||||||
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