Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 559 |
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01 | im relativen (beweglichen) Raume, zweitens der Begriff der Bewegung | ||||||
02 | im absoluten (unbeweglichen) Raume, drittens der Begriff der relativen | ||||||
03 | Bewegung überhaupt zum Unterschiede von der absoluten. Allen wird | ||||||
04 | der Begriff des absoluten Raumes zum Grunde gelegt. Wie kommen wir aber zu | ||||||
05 | diesem sonderbaren Begriffe, und worauf beruht die Nothwendigkeit seines Gebrauchs? | ||||||
07 | Er kann kein Gegenstand der Erfahrung sein; denn der Raum ohne Materie | ||||||
08 | ist kein Object der Wahrnehmung, und dennoch ist er ein nothwendiger Vernunftbegriff, | ||||||
09 | mithin nichts weiter als eine bloße Idee. Denn damit Bewegung auch | ||||||
10 | nur als Erscheinung gegeben werden könne, dazu wird eine empirische Vorstellung | ||||||
11 | des Raums, in Ansehung dessen das Bewegliche sein Verhältniß verändern soll, | ||||||
12 | erfordert, der Raum aber, der wahrgenommen werden soll, muß material, mithin | ||||||
13 | dem Begriffe einer Materie überhaupt zu Folge selbst beweglich sein. Um ihn nun | ||||||
14 | bewegt zu denken, darf man ihn nur als in einem Raume von größerem Umfange | ||||||
15 | enthalten denken und diesen als ruhig annehmen. Mit diesem aber läßt sich eben | ||||||
16 | dasselbe in Ansehung eines noch mehr erweiterten Raumes veranstalten und so ins | ||||||
17 | Unendliche, ohne jemals zu einem unbeweglichen (unmateriellen) Raume durch Erfahrung | ||||||
18 | zu gelangen, in Ansehung dessen irgend einer Materie schlechthin Bewegung | ||||||
19 | oder Ruhe beigelegt werden könne, sondern der Begriff dieser Verhältnißbestimmungen | ||||||
20 | wird beständig abgeändert werden müssen, nachdem man das Bewegliche | ||||||
21 | mit einem oder dem anderen dieser Räume in Verhältniß betrachten wird. | ||||||
22 | Da nun die Bedingung, etwas als ruhig oder bewegt anzusehen, im relativen | ||||||
23 | Raume ins Unendliche immer wiederum bedingt ist, so erhellt daraus erstlich: daß | ||||||
24 | alle Bewegung oder Ruhe blos relativ und keine absolut sein könne, d. i. daß Materie | ||||||
25 | blos in Verhältniß auf Materie, niemals aber in Ansehung des bloßen | ||||||
26 | Raumes ohne Materie als bewegt oder ruhig gedacht werden könne, mithin absolute | ||||||
27 | Bewegung, d. i. eine solche, die ohne alle Beziehung einer Materie auf eine | ||||||
28 | andere gedacht wird, schlechthin unmöglich sei; zweitens, daß auch eben darum | ||||||
29 | kein für alle Erscheinung gültiger Begriff von Bewegung oder Ruhe im relativen | ||||||
30 | Raume möglich sei, sondern man sich einen Raum, in welchem dieser selbst | ||||||
31 | als bewegt gedacht werden könne, der aber seiner Bestimmung nach weiter von | ||||||
32 | keinem anderen empirischen Raume abhängt und daher nicht wiederum bedingt ist, | ||||||
33 | d. i. einen absoluten Raum, auf den alle relative Bewegungen bezogen werden | ||||||
34 | können, denken müsse, in welchem alles Empirische beweglich ist, eben darum, damit | ||||||
35 | in demselben alle Bewegung des Materiellen als blos relativ gegen einander, | ||||||
36 | als alternativ=wechselseitig *), keine aber als absolute Bewegung oder Ruhe (da, | ||||||
*) In der Logik bezeichnet das Entweder=Oder jederzeit ein disjunctives Urtheil, da denn, wenn das eine wahr ist, das andere falsch sein muß. z. B. ein Körper ist entweder bewegt, oder nicht bewegt, d. i. in Ruhe. Denn man redet [Seitenumbruch] da lediglich von dem Verhältniß des Erkenntnisses zum Objecte. In der Erscheinungslehre, wo es auf das Verhältniß zum Subject ankommt, um darnach das Verhältniß der Objecte zu bestimmen, ist es anders. Denn da ist der Satz: der Körper ist entweder bewegt und der Raum ruhig, oder umgekehrt, nicht ein disjunctiver Satz in objectiver, sondern nur in subjectiver Beziehung, und beide darin enthaltene Urtheile gelten alternativ. In eben derselben Phänomenologie, wo die Bewegung nicht blos phoronomisch, sondern vielmehr dynamisch betrachtet wird, ist dagegen der disjunctive Satz in objectiver Bedeutung zu nehmen; d. i. an die Stelle der Umdrehung eines Körpers kann ich nicht die Ruhe desselben und dagegen die entgegengesetzte Bewegung des Raums annehmen. Wo aber die Bewegung sogar mechanisch betrachtet wird (wie wenn ein Körper gegen einen dem Scheine nach ruhigen anläuft), ist sogar das der Form nach disjunctive Urtheil in Ansehung des Objects distributiv zu gebrauchen, so daß die Bewegung nicht entweder dem einen oder dem andern, sondern einem jeden ein gleicher Antheil daran beigelegt werden muß. Diese Unterscheidung der alternativen, disjunctiven und distributiven Bestimmung eines Begriffs in Ansehung entgegengesetzter Prädicate hat ihre Wichtigkeit, kann aber hier nicht weiter erörtert werden. | |||||||
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