Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 530

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 kann eine ursprüngliche, sie kann aber auch eine abgeleitete sein. So hat die      
  02 Luft eine abgeleitete Elasticität vermittelst der Materie der Wärme, welche mit ihr      
  03 innigst vereinigt ist, und deren Elasticität vielleicht ursprünglich ist. Dagegen mu      
  04 der Grundstoff des Flüssigen, welches wir Luft nennen, dennoch als Materie überhaupt      
  05 schon an sich Elasticität haben, welche ursprünglich heißt. Von welcher Art      
  06 eine wahrgenommene Elasticität sei, ist in vorkommenden Fällen nicht möglich mit      
  07 Gewißheit zu entscheiden.)      
           
  08 4. Die Wirkung bewegter Körper auf einander durch Mittheilung      
  09 ihrer Bewegung heißt mechanisch; die der Materien aber, so      
  10 fern sie auch in Ruhe durch eigene Kräfte wechselseitig die Verbindung      
  11 ihrer Theile verändern, heißt chemisch. Dieser chemische Einfluß      
  12 heißt Auflösung, so fern er die Trennung der Theile einer Materie      
  13 zur Wirkung hat (die mechanische Theilung, z. B. durch einen Keil, der zwischen      
  14 die Theile einer Materie getrieben wird, ist also, weil der Keil nicht durch eigene      
  15 Kraft wirkt, von einer chemischen gänzlich unterschieden): derjenige aber, der die      
  16 Absonderung zweier durch einander aufgelöseten Materien zur Wirkung hat, ist      
  17 die Scheidung. Die Auflösung specifisch verschiedener Materien durch einander,      
  18 darin kein Theil der einen angetroffen wird, der nicht mit einem Theil der      
  19 andern, von ihr specifisch unterschiedenen in derselben Proportion, wie die Ganzen      
  20 vereinigt wäre, ist die absolute Auflösung und kann auch die chemische      
  21 Durchdringung genannt werden. Ob die auflösenden Kräfte, die in der Natur      
  22 wirklich anzutreffen sind, eine vollständige Auflösung zu bewirken vermögen,      
  23 mag unausgemacht bleiben. Hier ist nur die Frage davon, ob sich eine solche nur      
  24 denken lasse. Nun ist offenbar, daß, so lange die Theile einer aufgelöseten Materie      
  25 noch Klümpchen ( moleculae ) sind, nicht minder eine Auflösung derselben      
  26 möglich sei, als die der größeren, ja daß diese wirklich so lange fortgehen müsse,      
  27 wenn die auflösende Kraft bleibt, bis kein Theil mehr da ist, der nicht aus dem      
  28 Auflösungsmittel und der aufzulösenden Materie in der Proportion, darin beide      
  29 zu einander im Ganzen stehen, zusammengesetzt wäre. Weil also in solchem Falle      
  30 kein Theil von dem Volumen der Auflösung sein kann, der nicht einen Theil des      
  31 auflösenden Mittels enthielte, so muß dieses als ein Continuum das Volumen      
  32 ganz erfüllen. Eben so weil kein Theil eben desselben Volumens der Solution sein      
  33 kann, der nicht einen proportionirlichen Theil der aufgelöseten Materie enthielte,      
  34 so muß diese auch als ein Continuum den ganzen Raum, der das Volumen der      
  35 Mischung ausmacht, erfüllen. Wenn aber zwei Materien und zwar jede derselben      
  36 ganz einen und denselben Raum erfüllen, so durchdringen sie einander. Also      
  37 würde eine vollkommene chemische Auflösung eine Durchdringung der Materien      
  38 sein, welche dennoch von der mechanischen gänzlich unterschieden wäre, indem bei      
  39 der letzten gedacht wird, daß bei der größern Annäherung bewegter Materien die      
  40 repulsive Kraft der einen die der andern gänzlich überwiegen und eine oder beide      
           
     

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