Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 528 |
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01 | vermindern, und da widersteht ihm das Wasser allererst durch seinen Zusammenhang, | ||||||
02 | aber nicht innerhalb dem Tropfen, wo die Berührung der Theile untereinander | ||||||
03 | gar nicht vermindert, sondern nur in die Berührung mit andern Theilen | ||||||
04 | verändert wird, mithin diese nicht im mindesten getrennt, sondern nur verschoben | ||||||
05 | worden. Auch kann man auf das mikroskopische Thierchen und zwar aus ähnlichen | ||||||
06 | Gründen anwenden, was Newton vom Lichtstrahl sagt, daß er nicht durch die | ||||||
07 | dichte Materie, sondern nur durch den leeren Raum zurückgeschlagen werde. Es | ||||||
08 | ist also klar: daß die Vergrößerung des Zusammenhanges der Theile einer Materie | ||||||
09 | ihrer Flüssigkeit nicht den mindesten Abbruch thue. Wasser hängt in seinen | ||||||
10 | Theilen weit stärker zusammen, als man gemeiniglich glaubt, wenn man sich auf | ||||||
11 | den Versuch einer von der Oberfläche des Wassers losgerissenen metallenen Platte | ||||||
12 | verläßt, welcher nichts entscheidet, weil hier das Wasser nicht in der ganzen Fläche | ||||||
13 | der ersten Berührung, sondern in einer viel kleineren reißt, zu welcher es nämlich | ||||||
14 | durch das Verschieben seiner Theile endlich gelangt ist, wie etwa ein Stab von | ||||||
15 | weichem Wachse sich durch ein angehängt Gewicht erstlich dünner ziehen läßt und | ||||||
16 | alsdann in einer weit kleineren Fläche reißen muß, als man anfänglich annahm. | ||||||
17 | Was aber in Ansehung unsers Begriffs der Flüssigkeit ganz entscheidend ist, ist | ||||||
18 | dieses: daß flüssige Materien auch als solche erklärt werden können, deren | ||||||
19 | jeder Punkt nach allen Directionen mit eben derselben Kraft sich zu | ||||||
20 | bewegen trachtet, mit welcher er nach irgend einer gedrückt wird; eine | ||||||
21 | Eigenschaft, auf der das erste Gesetz der Hydrodynamik beruht, die aber einer Anhäufung | ||||||
22 | von glatten und dabei festen Körperchen, wie eine ganz leichte Auflösung | ||||||
23 | ihres Drucks nach Gesetzen der zusammengesetzten Bewegung zeigen kann, niemals | ||||||
24 | beigelegt werden kann und dadurch die Originalität der Eigenschaft der Flüssigkeit | ||||||
25 | beweiset. Würde nun die flüssige Materie das mindeste Hinderniß des Verschiebens, | ||||||
26 | mithin auch nur die kleinste Reibung erleiden, so würde diese mit der Stärke | ||||||
27 | des Druckes, womit die Theile derselben an einander gepreßt werden, wachsen und | ||||||
28 | endlich ein Druck stattfinden, bei welchem die Theile dieser Materie sich nicht an | ||||||
29 | einander durch jede kleine Kraft verschieben lassen; z. B. in einer gebogenen Röhre | ||||||
30 | von zwei Schenkeln, deren der eine so weit sein mag, als man will, der andere so | ||||||
31 | enge, als man will, außer daß er nur nicht ein Haarröhrchen ist, würde, wenn man | ||||||
32 | beide Schenkel einige hundert Fuß hoch denkt, die flüssige Materie in der engen | ||||||
33 | eben so hoch stehen als in der weiten, nach Gesetzen der Hydrostatik. Weil aber | ||||||
34 | der Druck auf den Boden der Röhren und also auch auf den Theil, der beide in | ||||||
35 | Gemeinschaft stehende Röhren verbindet, in Proportion der Höhen ins Unendliche | ||||||
36 | immer größer gedacht werden kann, so müßte, wenn die mindeste Reibung zwischen | ||||||
37 | den Theilen des Flüssigen stattfände, eine Höhe der Röhren gefunden werden | ||||||
38 | können, bei der eine kleine Quantität Wasser, in die engere Röhre gegossen, das | ||||||
39 | in der weiteren nicht aus seiner Lage verrücken, mithin die Wassersäule in dieser | ||||||
40 | höher zu stehen kommen würde als in jener, weil sich die unteren Theile bei so | ||||||
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