Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 427 |
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01 | In einer praktischen Philosophie, wo es uns nicht darum zu thun ist, | ||||||
02 | Gründe anzunehmen von dem, was geschieht, sondern Gesetze von dem, | ||||||
03 | was geschehen soll, ob es gleich niemals geschieht, d. i. objectiv=praktische | ||||||
04 | Gesetze: da haben wir nicht nöthig, über die Gründe Untersuchung | ||||||
05 | anzustellen, warum etwas gefällt oder mißfällt, wie das Vergnügen der | ||||||
06 | bloßen Empfindung vom Geschmacke, und ob dieser von einem allgemeinen | ||||||
07 | Wohlgefallen der Vernunft unterschieden sei; worauf Gefühl der Lust | ||||||
08 | und Unlust beruhe, und wie hieraus Begierden und Neigungen, aus diesen | ||||||
09 | aber durch Mitwirkung der Vernunft Maximen entspringen; denn das | ||||||
10 | gehört alles zu einer empirischen Seelenlehre, welche den zweiten Theil | ||||||
11 | der Naturlehre ausmachen würde, wenn man sie als Philosophie der | ||||||
12 | Natur betrachtet, so fern sie auf empirischen Gesetzen gegründet ist. | ||||||
13 | Hier aber ist vom objectiv=praktischen Gesetze die Rede, mithin von dem | ||||||
14 | Verhältnisse eines Willens zu sich selbst, so fern er sich bloß durch Vernunft | ||||||
15 | bestimmt, da denn alles, was aufs Empirische Beziehung hat, von | ||||||
16 | selbst wegfällt: weil, wenn die Vernunft für sich allein das Verhalten | ||||||
17 | bestimmt (wovon wir die Möglichkeit jetzt eben untersuchen wollen), sie | ||||||
18 | dieses nothwendig a priori thun muß. | ||||||
19 | Der Wille wird als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser | ||||||
20 | Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein | ||||||
21 | solches Vermögen kann nur in vernünftigen Wesen anzutreffen sein. Nun | ||||||
22 | ist das, was dem Willen zum objectiven Grunde seiner Selbstbestimmung | ||||||
23 | dient, der Zweck, und dieser, wenn er durch bloße Vernunft gegeben wird, | ||||||
24 | muß für alle vernünftige Wesen gleich gelten. Was dagegen bloß den | ||||||
25 | Grund der Möglichkeit der Handlung enthält, deren Wirkung Zweck ist, | ||||||
26 | heißt das Mittel. Der subjective Grund des Begehrens ist die Triebfeder, | ||||||
27 | der objective des Wollens der Bewegungsgrund; daher der | ||||||
28 | Unterschied zwischen subjectiven Zwecken, die auf Triebfedern beruhen, | ||||||
29 | und objectiven, die auf Bewegungsgründe ankommen, welche für jedes | ||||||
30 | vernünftige Wesen gelten. Praktische Principien sind formal, wenn sie | ||||||
31 | von allen subjectiven Zwecken abstrahiren; sie sind aber material, wenn | ||||||
32 | sie diese, mithin gewisse Triebfedern zum Grunde legen. Die Zwecke, die | ||||||
33 | sich ein vernünftiges Wesen als Wirkungen seiner Handlung nach Belieben | ||||||
34 | vorsetzt, (materiale Zwecke) sind insgesammt nur relativ; denn nur | ||||||
35 | bloß ihr Verhältniß auf ein besonders geartetes Begehrungsvermögen des | ||||||
36 | Subjects giebt ihnen den Werth, der daher keine allgemeine für alle vernünftige | ||||||
37 | Wesen und auch nicht für jedes Wollen gültige und nothwendige | ||||||
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