Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 375 |
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01 | ich dagegen zeige zuerst: daß der Raum (und eben so die Zeit, auf welche | ||||||
02 | Berkeley nicht Acht hatte) sammt allen seinen Bestimmungen a priori | ||||||
03 | von uns erkannt werden könne, weil er sowohl als die Zeit uns vor aller | ||||||
04 | Wahrnehmung oder Erfahrung als reine Form unserer Sinnlichkeit beiwohnt | ||||||
05 | und alle Anschauung derselben, mithin auch alle Erscheinungen | ||||||
06 | möglich macht. Hieraus folgt: daß, da Wahrheit auf allgemeinen und | ||||||
07 | nothwendigen Gesetzen als ihren Kriterien beruht, die Erfahrung bei | ||||||
08 | Berkeley keine Kriterien der Wahrheit haben könne, weil den Erscheinungen | ||||||
09 | derselben (von ihm) nichts a priori zum Grunde gelegt ward, | ||||||
10 | woraus denn folgte, daß sie nichts als lauter Schein sei, dagegen bei uns | ||||||
11 | Raum und Zeit (in Verbindung mit den reinen Verstandesbegriffen) | ||||||
12 | a priori aller möglichen Erfahrung ihr Gesetz vorschreiben, welches zugleich | ||||||
13 | das sichere Kriterium abgiebt, in ihr Wahrheit von Schein zu unterscheiden.*) | ||||||
15 | Mein so genannter (eigentlich kritischer) Idealism ist also von ganz | ||||||
16 | eigenthümlicher Art, nämlich so, daß er den gewöhnlichen umstürzt, daß | ||||||
17 | durch ihn alle Erkenntniß a priori, selbst die der Geometrie, zuerst objective | ||||||
18 | Realität bekommt, welche ohne diese meine bewiesene Idealität des | ||||||
19 | Raumes und der Zeit selbst von den eifrigsten Realisten gar nicht behauptet | ||||||
20 | werden könnte. Bei solcher Bewandtniß der Sachen wünschte ich, | ||||||
21 | um allen Mißverstand zu Verhüten, daß ich diesen meinen Begriff anders | ||||||
22 | benennen könnte; aber ihn ganz abzuändern will sich nicht wohl thun | ||||||
23 | lassen. Es sei mir also erlaubt, ihn künftig, wie oben schon angeführt | ||||||
24 | worden, den formalen, besser noch den kritischen Idealism zu nennen, um | ||||||
25 | ihn vom dogmatischen des Berkeley und vom sceptischen des Cartesius | ||||||
26 | zu unterscheiden. | ||||||
27 | Weiter finde ich in der Beurtheilung dieses Buchs nichts Merkwürdiges. | ||||||
28 | Der Verfasser derselben urtheilt durch und durch en gros , eine | ||||||
*) Der eigentliche Idealismus hat jederzeit eine schwärmerische Absicht und kann auch keine andre haben; der meinige aber ist lediglich dazu, um die Möglichkeit unserer Erkenntniß a priori von Gegenständen der Erfahrung zu begreifen, welches ein Problem ist, das bisher noch nicht aufgelöset, ja nicht einmal aufgeworfen worden. Dadurch fällt nun der ganze schwärmerische Idealism, der immer (wie auch schon aus dem Plato zu ersehen) aus unseren Erkenntnissen a priori (selbst denen der Geometrie) auf eine andere (nämlich intellectuelle) Anschauung als die der Sinne schloß, weil man sich gar nicht einfallen ließ, daß Sinne auch a priori anschauen sollten. | |||||||
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