Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 374 |
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01 | Beim Anblicke dieser Zeile sah ich bald, was für eine Recension da | ||||||
02 | herauskommen würde, ungefähr so, als wenn jemand, der niemals von | ||||||
03 | Geometrie etwas gehört oder gesehen hätte, einen Euklid fände und ersucht | ||||||
04 | würde, sein Urtheil darüber zu fällen, nachdem er beim Durchblättern | ||||||
05 | auf viel Figuren gestoßen, etwa sagte: "Das Buch ist eine systematische | ||||||
06 | Anweisung zum Zeichnen: der Verfasser bedient sich einer besondern | ||||||
07 | Sprache, um dunkele, unverständliche Vorschriften zu geben, die am | ||||||
08 | Ende doch nichts mehr ausrichten können, als was jeder durch ein gutes | ||||||
09 | natürliches Augenmaß zu Stande bringen kann etc. " | ||||||
10 | Laßt uns indessen doch zusehen, was denn das für ein Idealism sei, | ||||||
11 | der durch mein ganzes Werk geht, obgleich bei weitem noch nicht die Seele | ||||||
12 | des Systems ausmacht. | ||||||
13 | Der Satz aller ächten Idealisten von der Eleatischen Schule an bis | ||||||
14 | zum Bischof Berkeley ist in dieser Formel enthalten: " Alle Erkenntniß | ||||||
15 | durch Sinne und Erfahrung ist nichts als lauter Schein, und nur in den | ||||||
16 | Ideen des reinen Verstandes und Vernunft ist Wahrheit. " | ||||||
17 | Der Grundsatz, der meinen Idealism durchgängig regiert und bestimmt, | ||||||
18 | ist dagegen: "Alles Erkenntniß von Dingen aus bloßem reinen | ||||||
19 | Verstande oder reiner Vernunft ist nichts als lauter Schein, und nur in | ||||||
20 | der Erfahrung ist Wahrheit." | ||||||
21 | Das ist ja aber gerade das Gegentheil von jenem eigentlichen Idealism; | ||||||
22 | wie kam ich denn dazu, mich dieses Ausdrucks zu einer ganz entgegengesetzten | ||||||
23 | Absicht zu bedienen, und wie der Recensent, ihn allenthalben | ||||||
24 | zu sehen? | ||||||
25 | Die Auflösung dieser Schwierigkeit beruht auf etwas, was man sehr | ||||||
26 | leicht aus dem Zusammenhange der Schrift hätte einsehen können, wenn | ||||||
27 | man gewollt hätte. Raum und Zeit sammt allem, was sie in sich enthalten, | ||||||
28 | sind nicht die Dinge oder deren Eigenschaften an sich selbst, sondern gehören | ||||||
29 | blos zu Erscheinungen derselben; bis dahin bin ich mit jenen Idealisten | ||||||
30 | auf einem Bekenntnisse. Allein diese und unter ihnen vornehmlich | ||||||
31 | Berkeley sahen den Raum für eine bloße empirische Vorstellung an, die | ||||||
32 | eben so wie die Erscheinungen in ihm uns nur vermittelst der Erfahrung | ||||||
33 | oder Wahrnehmung zusammt allen seinen Bestimmungen bekannt würde; | ||||||
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