Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 343

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01
§ 53.
     
           
  02 In der ersten Classe der Antinomie (der mathematischen) bestand die      
  03 Falschheit der Voraussetzung darin: daß, was sich widerspricht (nämlich      
  04 Erscheinung als Sache an sich selbst), als vereinbar in einem Begriffe vorgestellt      
  05 würde. Was aber die zweite, nämlich dynamische, Classe der Antinomie      
  06 betrifft, so besteht die Falschheit der Voraussetzung darin: daß,      
  07 was vereinbar ist, als widersprechend vorgestellt wird, folglich, da im      
  08 ersteren Falle alle beide einander entgegengesetzte Behauptungen falsch      
  09 waren, hier wiederum solche, die durch bloßen Mißverstand einander entgegengesetzt      
  10 werden, alle beide wahr sein können.      
  11 Die mathematische Verknüpfung nämlich setzt nothwendig Gleichartigkeit      
  12 des Verknüpften (im Begriffe der Größe) voraus, die dynamische      
  13 erfordert dieses keinesweges. Wenn es auf die Größe des Ausgedehnten      
  14 ankommt, so müssen alle Theile unter sich und mit dem ganzen gleichartig      
  15 sein; dagegen in der Verknüpfung der Ursache und Wirkung kann zwar      
  16 auch Gleichartigkeit angetroffen werden, aber sie ist nicht nothwendig;      
  17 denn der Begriff der Causalität (vermittelst dessen durch Etwas etwas      
  18 ganz davon Verschiedenes gesetzt wird) erfordert sie wenigstens nicht.      
  19 Würden die Gegenstände der Sinnenwelt für Dinge an sich selbst genommen      
  20 und die oben angeführte Naturgesetze für Gesetze der Dinge an      
  21 sich selbst, so wäre der Widerspruch unvermeidlich. Eben so wenn das      
  22 Subject der Freiheit gleich den übrigen Gegenständen als bloße Erscheinung      
  23 vorgestellt würde, so könnte eben so wohl der Widerspruch nicht vermieden      
  24 werden; denn es würde eben dasselbe von einerlei Gegenstande in      
  25 derselben Bedeutung zugleich bejaht und verneint werden. Ist aber Naturnothwendigkeit      
  26 blos auf Erscheinungen bezogen und Freiheit blos auf      
  27 Dinge an sich selbst, so entspringt kein Widerspruch, wenn man gleich      
  28 beide Arten von Causalität annimmt oder zugiebt, so schwer oder unmöglich      
  29 es auch sein möchte, die von der letzteren Art begreiflich zu machen.      
  30 In der Erscheinung ist jede Wirkung eine Begebenheit oder etwas,      
  31 das in der Zeit geschieht; vor ihr muß nach dem allgemeinen Naturgesetze      
  32 eine Bestimmung der Causalität ihrer Ursache (ein Zustand derselben)      
  33 vorhergehen, worauf sie nach einem beständigen Gesetze folgt. Aber diese      
  34 Bestimmung der Ursache zur Causalität muß auch etwas sein, was sich      
  35 eräugnet oder geschieht; die Ursache muß angefangen haben zu handeln,      
  36 denn sonst ließe sich zwischen ihr und der Wirkung keine Zeitfolge      
           
     

[ Seite 342 ] [ Seite 344 ] [ Inhaltsverzeichnis ]