Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 342

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sind, und es offenbar widersprechend ist, zu sagen, daß eine      
  02 bloße Vorstellungsart auch außer unserer Vorstellung existire. Die Gegenstände      
  03 also der Sinne existiren nur in der Erfahrung; dagegen auch ohne      
  04 dieselbe oder vor ihr ihnen eine eigene, für sich bestehende Existenz zu      
  05 geben, heißt so viel als sich vorstellen, Erfahrung sei auch ohne Erfahrung      
  06 oder vor derselben wirklich.      
           
  07 Wenn ich nun nach der Weltgröße dem Raume und der Zeit nach      
  08 frage, so ist es für alle meine Begriffe eben so unmöglich zu sagen, sie sei      
  09 unendlich, als sie sei endlich. Denn keines von beiden kann in der Erfahrung      
  10 enthalten sein, weil weder von einem unendlichen Raume oder unendlicher      
  11 verflossener Zeit, noch der Begrenzung der Welt durch einen      
  12 leeren Raum oder eine vorhergehende leere Zeit Erfahrung möglich ist;      
  13 das sind nur Ideen. Also müßte diese auf die eine oder die andre Art      
  14 bestimmte Größe der Welt in ihr selbst liegen, abgesondert von aller Erfahrung.      
  15 Dieses widerspricht aber dem Begriffe einer Sinnenwelt, die      
  16 nur ein Inbegriff der Erscheinung ist, deren Dasein und Verknüpfung      
  17 nur in der Vorstellung, nämlich der Erfahrung, stattfindet, weil sie nicht      
  18 Sache an sich, sondern selbst nichts als Vorstellungsart ist. Hieraus folgt,      
  19 daß, da der Begriff einer für sich existirenden Sinnenwelt in sich selbst      
  20 widersprechend ist, die Auflösung des Problems wegen ihrer Größe auch      
  21 jederzeit falsch sein werde, man mag sie nun bejahend oder verneinend versuchen.      
           
  23 Eben dieses gilt von der zweiten Antinomie, die die Theilung der      
  24 Erscheinungen betrifft. Denn diese sind bloße Vorstellungen, und die      
  25 Theile existiren blos in der Vorstellung derselben, mithin in der Theilung,      
  26 d. i. in einer möglichen Erfahrung, darin sie gegeben werden, und jene      
  27 geht daher nur so weit, als diese reicht. Anzunehmen, daß eine Erscheinung,      
  28 z. B. die des Körpers, alle Theile vor aller Erfahrung an sich selbst      
  29 enthalte, zu denen nur immer mögliche Erfahrung gelangen kann, heißt:      
  30 einer bloßen Erscheinung, die nur in der Erfahrung existiren kann, doch      
  31 zugleich eine eigene, vor Erfahrung vorhergehende Existenz geben, oder      
  32 zu sagen, daß bloße Vorstellungen da sind, ehe sie in der Vorstellungskraft      
  33 angetroffen werden, welches sich widerspricht, und mithin auch jede Auflösung      
  34 der mißverstandnen Aufgabe, man mag darin behaupten, die      
  35 Körper bestehen an sich aus unendlich viel Theilen, oder einer endlichen      
  36 Zahl einfacher Theile.      
           
           
     

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