Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 344 |
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Text (Kant):
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01 | denken. Die Wirkung wäre immer gewesen, so wie die Causalität der | ||||||
02 | Ursache. Also muß unter Erscheinungen die Bestimmung der Ursache | ||||||
03 | zum Wirken auch entstanden und mithin eben so wohl als ihre Wirkung | ||||||
04 | eine Begebenheit sein, die wiederum ihre Ursache haben muß u. s. w., und | ||||||
05 | folglich Naturnothwendigkeit die Bedingung sein, nach welcher die wirkende | ||||||
06 | Ursachen bestimmt werden. Soll dagegen Freiheit eine Eigenschaft | ||||||
07 | gewisser Ursachen der Erscheinungen sein, so muß sie respective auf die | ||||||
08 | letztere als Begebenheiten ein Vermögen sein, sie von selbst ( sponte ) anzufangen, | ||||||
09 | d. i. ohne daß die Causalität der Ursache selbst anfangen dürfte | ||||||
10 | und daher keines andern, ihren Anfang bestimmenden Grundes benöthigt | ||||||
11 | wäre. Alsdann aber müßte die Ursache ihrer Causalität nach nicht unter | ||||||
12 | Zeitbestimmungen ihres Zustandes stehen, d. i. gar nicht Erscheinung | ||||||
13 | sein, d. i. sie müßte als ein Ding an sich selbst, die Wirkungen aber | ||||||
14 | allein als Erscheinungen angenommen werden *). Kann man einen | ||||||
15 | solchen Einfluß der Verstandeswesen auf Erscheinungen ohne Widerspruch | ||||||
16 | denken, so wird zwar aller Verknüpfung der Ursache und Wirkung in der | ||||||
17 | Sinnenwelt Naturnothwendigkeit anhängen, dagegen doch derjenigen Ursache, | ||||||
18 | die selbst keine Erscheinung ist (obzwar ihr zum Grunde liegt), Freiheit | ||||||
19 | zugestanden, Natur also und Freiheit eben demselben Dinge, aber in | ||||||
20 | verschiedener Beziehung, einmal als Erscheinung, das andre Mal als | ||||||
21 | einem Dinge an sich selbst, ohne Widerspruch beigelegt werden können. | ||||||
22 | Wir haben in uns ein Vermögen, welches nicht blos mit seinen subjectiv | ||||||
23 | bestimmenden Gründen, welche die Naturursachen seiner Handlungen | ||||||
*) Die Idee der Freiheit findet lediglich in dem Verhältnisse des Intellectuellen als Ursache zur Erscheinung als Wirkung statt. Daher können wir der Materie in Ansehung ihrer unaufhörlichen Handlung, dadurch sie ihren Raum erfüllt, nicht Freiheit beilegen, obschon diese Handlung aus innerem Princip geschieht. Eben so wenig können wir für reine Verstandeswesen, z. B. Gott, so fern seine Handlung immanent ist, keinen Begriff von Freiheit angemessen finden. Denn seine Handlung, obzwar unabhängig von äußeren bestimmenden Ursachen, ist dennoch in seiner ewigen Vernunft, mithin der göttlichen Natur bestimmt. Nur wenn durch eine Handlung etwas anfangen soll, mithin die Wirkung in der Zeitreihe, folglich der Sinnenwelt anzutreffen sein soll (z. B. Anfang der Welt), da erhebt sich die Frage, ob die Causalität der Ursache selbst auch anfangen müsse, oder ob die Ursache eine Wirkung anheben könne, ohne daß ihre Causalität selbst anfängt. Im ersteren Falle ist der Begriff dieser Causalität ein Begriff der Naturnothwendigkeit, im zweiten der Freiheit. Hieraus wird der Leser ersehen, daß, da ich Freiheit als das Vermögen eine Begebenheit von selbst anzufangen erklärte, ich genau den Begriff traf, der das Problem der Metaphysik ist. | |||||||
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