Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 290 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | was unsre Sinnlichkeit zu den Objecten hat, vollkommen gemäß | ||||||
| 02 | sei, denn das habe ich gesagt, sondern daß sie sogar dem Object völlig ähnlich | ||||||
| 03 | sei; eine Behauptung, mit der ich keinen Sinn verbinden kann, so | ||||||
| 04 | wenig als daß die Empfindung des Rothen mit der Eigenschaft des Zinnobers, | ||||||
| 05 | der diese Empfindung in mir erregt, eine Ähnlichkeit habe. | ||||||
| 06 | Anmerkung III |
||||||
| 07 | Hieraus läßt sich nun ein leicht vorherzusehender, aber nichtiger Einwurf | ||||||
| 08 | gar leicht abweisen: "daß nämlich durch die Idealität des Raums | ||||||
| 09 | und der Zeit die ganze Sinnenwelt in lauter Schein verwandelt werden | ||||||
| 10 | würde." Nachdem man nämlich zuvörderst alle philosophische Einsicht von | ||||||
| 11 | der Natur der sinnlichen Erkenntniß dadurch verdorben hatte, daß man | ||||||
| 12 | die Sinnlichkeit blos in einer verworrenen Vorstellungsart setzte, nach der | ||||||
| 13 | wir die Dinge immer noch erkennten, wie sie sind, nur ohne das Vermögen | ||||||
| 14 | zu haben, alles in dieser unserer Vorstellung zum klaren Bewußtsein | ||||||
| 15 | zu bringen; dagegen von uns bewiesen worden, daß Sinnlichkeit nicht in | ||||||
| 16 | diesem logischen Unterschiede der Klarheit oder Dunkelheit, sondern in dem | ||||||
| 17 | genetischen des Ursprungs der Erkenntniß selbst bestehe, da sinnliche Erkenntniß | ||||||
| 18 | die Dinge gar nicht vorstellt, wie sie sind, sondern nur die Art, | ||||||
| 19 | wie sie unsere Sinnen afficiren, und also, daß durch sie blos Erscheinungen, | ||||||
| 20 | nicht die Sachen selbst dem Verstande zur Reflexion gegeben werden: | ||||||
| 21 | nach dieser nothwendigen Berichtigung regt sich ein aus unverzeihlicher | ||||||
| 22 | und beinahe vorsetzlicher Mißdeutung entspringender Einwurf, als wenn | ||||||
| 23 | mein Lehrbegriff alle Dinge der Sinnenwelt in lauter Schein verwandelte. | ||||||
| 24 | Wenn uns Erscheinung gegeben ist, so sind wir noch ganz frei, wie | ||||||
| 25 | wir die Sache daraus beurtheilen wollen. Jene, nämlich Erscheinung, beruhte | ||||||
| 26 | auf den Sinnen, diese Beurtheilung aber auf dem Verstande, und | ||||||
| 27 | es frägt sich nur, ob in der Bestimmung des Gegenstandes Wahrheit sei | ||||||
| 28 | oder nicht. Der Unterschied aber zwischen Wahrheit und Traum wird nicht | ||||||
| 29 | durch die Beschaffenheit der Vorstellungen, die auf Gegenstände bezogen | ||||||
| 30 | werden, ausgemacht, denn die sind in beiden einerlei, sondern durch die | ||||||
| 31 | Verknüpfung derselben nach den Regeln, welche den Zusammenhang der | ||||||
| 32 | Vorstellungen in dem Begriffe eines Objects bestimmen, und wie fern sie | ||||||
| 33 | in einer Erfahrung beisammen stehen können oder nicht. Und da liegt es | ||||||
| 34 | gar nicht an den Erscheinungen, wenn unsere Erkenntniß den Schein für | ||||||
| 35 | Wahrheit nimmt, d. i. wenn Anschauung, wodurch uns ein Object gegeben | ||||||
| [ Seite 289 ] [ Seite 291 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||