Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 250 |
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| 01 | keine Folgen haben, die auf Gegenstände der Erfahrung angewandt würden, | ||||||
| 02 | mithin sind sie völlig leer. Denn jener Begriff der Substanz lehrt | ||||||
| 03 | mich nicht, daß die Seele für sich selbst fortdaure, nicht, daß sie von den | ||||||
| 04 | äußeren Anschauungen ein Theil sei, der selbst nicht mehr getheilt werden | ||||||
| 05 | könne, und der also durch keine Veränderungen der Natur entstehen oder | ||||||
| 06 | vergehen könne: lauter Eigenschaften, die mir die Seele im Zusammenhange | ||||||
| 07 | der Erfahrung kennbar machen und in Ansehung ihres Ursprungs | ||||||
| 08 | und künftigen Zustandes Eröffnung geben könnten. Wenn ich nun aber | ||||||
| 09 | durch bloße Kategorie sage: die Seele ist eine einfache Substanz, so ist | ||||||
| 10 | klar, daß, da der nackte Verstandesbegriff von Substanz nichts weiter enthält, | ||||||
| 11 | als daß ein Ding als Subject an sich, ohne wiederum Prädicat von | ||||||
| 12 | einem andern zu sein, vorgestellt werden solle, daraus nichts von Beharrlichkeit | ||||||
| 13 | folge, und das Attribut des Einfachen diese Beharrlichkeit gewiß | ||||||
| 14 | nicht hinzusetzen könne, mithin man dadurch über das, was die Seele bei | ||||||
| 15 | den Weltveränderungen treffen könne, nicht im mindesten unterrichtet | ||||||
| 16 | werde. Würde man uns sagen können: sie ist ein einfacher Theil der | ||||||
| 17 | Materie, so würden wir von dieser aus dem, was Erfahrung von ihr | ||||||
| 18 | lehrt, die Beharrlichkeit und mit der einfachen Natur zusammen die Unzerstörlichkeit | ||||||
| 19 | derselben ableiten können. Davon sagt uns aber der Begriff | ||||||
| 20 | des Ich in dem psychologischen Grundsatze (Ich denke) nicht ein Wort. | ||||||
| 21 | Daß aber das Wesen, welches in uns denkt, durch reine Kategorien | ||||||
| 22 | und zwar diejenige, welche die absolute Einheit unter jedem Titel derselben | ||||||
| 23 | ausdrücken, sich selbst zu erkennen vermeine, rührt daher. Die | ||||||
| 24 | Apperception ist selbst der Grund der Möglichkeit der Kategorien, welche | ||||||
| 25 | ihrerseits nichts anders vorstellen, als die Synthesis des Mannigfaltigen | ||||||
| 26 | der Anschauung, so fern dasselbe in der Apperception Einheit hat. Daher | ||||||
| 27 | ist das Selbstbewußtsein überhaupt die Vorstellung desjenigen, was die | ||||||
| 28 | Bedingung aller Einheit und doch selbst unbedingt ist. Man kann daher | ||||||
| 29 | von dem denkenden Ich (Seele), das sich als Substanz, einfach, numerisch | ||||||
| 30 | identisch in aller Zeit und das Correlatum alles Daseins, aus welchem | ||||||
| 31 | alles andere Dasein geschlossen werden muß, denkt, sagen: daß es nicht | ||||||
| 32 | sowohl sich selbst durch die Kategorien, sondern die Kategorien | ||||||
| 33 | und durch sie alle Gegenstände in der absoluten Einheit der Apperception, | ||||||
| 34 | mithin durch sich selbst erkennt. Nun ist zwar sehr einleuchtend, daß ich | ||||||
| 35 | dasjenige, was ich voraussetzen muß, um überhaupt ein Object zu erkennen, | ||||||
| 36 | nicht selbst als Object erkennen könne, und daß das bestimmende | ||||||
| 37 | Selbst (das Denken) von dem bestimmbaren Selbst (dem denkenden Subject), | ||||||
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