Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 399 |
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01 | Gerade eben so ist es mit dem Begriffe eines absolut nothwendigen Wesens | ||||||
02 | bewandt. Wenn ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding | ||||||
03 | selbst mit allen seinen Prädicaten auf; wo soll alsdann der Widerspruch | ||||||
04 | herkommen? Äußerlich ist nichts, dem widersprochen würde, denn das | ||||||
05 | Ding soll nicht äußerlich nothwendig sein; innerlich auch nichts, denn ihr | ||||||
06 | habt durch Aufhebung des Dinges selbst alles Innere zugleich aufgehoben. | ||||||
07 | Gott ist allmächtig; das ist ein nothwendiges Urtheil. Die Allmacht kann | ||||||
08 | nicht aufgehoben werden, wenn ihr eine Gottheit, d. i. ein unendliches | ||||||
09 | Wesen, setzt, mit dessen Begriff jener identisch ist. Wenn ihr aber sagt: | ||||||
10 | Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgend ein anderes seiner | ||||||
11 | Prädicate gegeben; denn sie sind alle zusammt dem Subjecte aufgehoben, | ||||||
12 | und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch. | ||||||
13 | Ihr habt also gesehen, daß, wenn ich das Prädicat eines Urtheils | ||||||
14 | zusammt dem Subjecte aufhebe, niemals ein innerer Widerspruch entspringen | ||||||
15 | könne, das Prädicat mag auch sein, welches es wolle. Nun bleibt | ||||||
16 | euch keine Ausflucht übrig als, ihr müßt sagen: es giebt Subjecte, die gar | ||||||
17 | nicht aufgehoben werden können, die also bleiben müssen. Das würde | ||||||
18 | aber eben so viel sagen als: es giebt schlechterdings nothwendige Subjecte; | ||||||
19 | eine Voraussetzung, an deren Richtigkeit ich eben gezweifelt habe, und | ||||||
20 | deren Möglichkeit ihr mir zeigen wolltet. Denn ich kann mir nicht den | ||||||
21 | geringsten Begriff von einem Dinge machen, welches, wenn es mit allen | ||||||
22 | seinen Prädicaten aufgehoben würde, einen Widerspruch zurück ließe; und | ||||||
23 | ohne den Widerspruch habe ich durch bloße reine Begriffe a priori kein | ||||||
24 | Merkmal der Unmöglichkeit. | ||||||
25 | Wider alle diese allgemeine Schlüsse (deren sich kein Mensch weigern | ||||||
26 | kann) fordert ihr mich durch einen Fall auf, den ihr als einen Beweis | ||||||
27 | durch die That aufstellet: daß es doch einen und zwar nur diesen Einen | ||||||
28 | Begriff gebe, da das Nichtsein oder das Aufheben seines Gegenstandes in | ||||||
29 | sich selbst widersprechend sei; und dieses ist der Begriff des allerrealsten | ||||||
30 | Wesens. Es hat, sagt ihr, alle Realität, und ihr seid berechtigt, ein solches | ||||||
31 | Wesen als möglich anzunehmen (welches ich für jetzt einwillige, obgleich der | ||||||
32 | sich nicht widersprechende Begriff noch lange nicht die Möglichkeit des Gegenstandes | ||||||
33 | beweiset)*). Nun ist unter aller Realität auch das Dasein mit | ||||||
*) Der Begriff ist allemal möglich, wenn er sich nicht widerspricht. Das ist das logische Merkmal der Möglichkeit, und dadurch wird sein Gegenstand vom nihil negativum unterschieden. Allein er kann nichts destoweniger ein leerer Begriff [Seitenumbruch] sein, wenn die objective Realität der Synthesis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht besonders dargethan wird; welches aber jederzeit, wie oben gezeigt worden, auf Principien möglicher Erfahrung und nicht auf dem Grundsatze der Analysis (dem Satze des Widerspruchs) beruht. Das ist eine Warnung, von der Möglichkeit der Begriffe (logische) nicht sofort auf die Möglichkeit der Dinge (reale) zu schließen. | |||||||
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