Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 395

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Denn wenn wir alles so gut sein lassen, wie es hier vor uns liegt:      
  02 daß nämlich erstlich von irgend einer gegebenen Existenz (allenfalls auch      
  03 bloß meiner eigenen) ein richtiger Schluß auf die Existenz eines unbedingt      
  04 nothwendigen Wesens stattfinde; zweitens daß ich ein Wesen, welches      
  05 alle Realität, mithin auch alle Bedingung enthält, als schlechthin      
  06 unbedingt Ansehen müsse, folglich der Begriff des Dinges, welches sich zur      
  07 absoluten Nothwendigkeit schickt, hiedurch gefunden sei: so kann daraus      
  08 doch gar nicht geschlossen werden, daß der Begriff eines eingeschränkten      
  09 Wesens, das nicht die höchste Realität hat, darum der absoluten Nothwendigkeit      
  10 widerspreche. Denn ob ich gleich in seinem Begriffe nicht das Unbedingte      
  11 antreffe, was das All der Bedingungen schon bei sich führt, so      
  12 kann daraus doch gar nicht gefolgert werden, daß sein Dasein eben darum      
  13 bedingt sein müsse; so wie ich in einem hypothetischen Vernunftschlusse nicht      
  14 sagen kann: wo eine gewisse Bedingung (nämlich hier der Vollständigkeit      
  15 nach Begriffen) nicht ist, da ist auch das Bedingte nicht. Es wird uns      
  16 vielmehr unbenommen bleiben, alle übrige eingeschränkte Wesen eben so      
  17 wohl für unbedingt nothwendig gelten zu lassen, ob wir gleich ihre Nothwendigkeit      
  18 aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von ihnen haben, nicht      
  19 schließen können. Auf diese Weise aber hätte dieses Argument uns nicht      
  20 den mindesten Begriff von Eigenschaften eines nothwendigen Wesens verschafft      
  21 und überall gar nichts geleistet.      
           
  22 Gleichwohl bleibt diesem Argumente eine gewisse Wichtigkeit und ein      
  23 Ansehen, das ihm wegen dieser objectiven Unzulänglichkeit noch nicht sofort      
  24 genommen werden kann. Denn setzet, es gebe Verbindlichkeiten, die      
  25 in der Idee der Vernunft ganz richtig, aber ohne alle Realität der Anwendung      
  26 auf uns selbst, d. i. ohne Triebfedern, sein würden, wo nicht ein      
  27 höchstes Wesen vorausgesetzt würde, das den praktischen Gesetzen Wirkung      
  28 und Nachdruck geben könnte: so würden wir auch eine Verbindlichkeit      
  29 haben, den Begriffen zu folgen, die, wenn sie gleich nicht objectiv zulänglich      
  30 sein möchten, doch nach dem Maße unserer Vernunft überwiegend      
  31 sind, und in Vergleichung mit denen wir doch nichts Besseres und Überführenderes      
  32 erkennen. Die Pflicht zu wählen würde hier die Unschlüssigkeit      
  33 der Speculation durch einen praktischen Zusatz aus dem Gleichgewichte      
  34 bringen, ja die Vernunft würde bei ihr selbst, als dem nachsehendsten      
  35 Richter, keine Rechtfertigung finden, wenn sie unter dringenden Bewegursachen,      
  36 obzwar nur mangelhafter Einsicht, diesen Gründen ihres Urtheils,      
  37 über die wir doch wenigstens keine bessere kennen, nicht gefolgt wäre.      
           
           
     

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