Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 394

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sicher gefolgert werden könne, daß, was nicht die höchste und in aller Absicht      
  02 vollständige Bedingung in sich enthält, darum selbst seiner Existenz      
  03 nach bedingt sein müsse; aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen      
  04 des unbedingten Daseins nicht an sich, dessen die Vernunft mächtig ist,      
  05 um durch einen Begriff a priori irgend ein Wesen als unbedingt zu erkennen.      
           
  07 Der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität würde sich also      
  08 unter allen Begriffen möglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingt      
  09 nothwendigen Wesens am besten schicken, und wenn er diesem auch nicht      
  10 völlig genugthut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen uns genöthigt,      
  11 uns an ihn zu halten; weil wir die Existenz eines nothwendigen      
  12 Wesens nicht in den Wind schlagen dürfen, geben wir sie aber zu, doch in      
  13 dem ganzen Felde der Möglichkeit nichts finden können, was auf einen      
  14 solchen Vorzug im Dasein einen gegründetern Anspruch machen könnte.      
           
  15 So ist also der natürliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen.      
  16 Zuerst überzeugt sie sich vom Dasein irgend eines nothwendigen Wesens.      
  17 In diesem erkennt sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den Begriff      
  18 des Unabhängigen von aller Bedingung und findet ihn in dem, was selbst      
  19 die zureichende Bedingung zu allem andern ist, d. i. in demjenigen, was      
  20 alle Realität enthält. Das All aber ohne Schranken ist absolute Einheit      
  21 und führt den Begriff eines einigen, nämlich des höchsten Wesens bei sich;      
  22 und so schließt sie, daß das höchste Wesen als Urgrund aller Dinge schlechthin      
  23 nothwendiger Weise da sei.      
           
  24 Diesem Begriffe kann eine gewisse Gründlichkeit nicht gestritten werden,      
  25 wenn von Entschließungen die Rede ist, nämlich wenn einmal das      
  26 Dasein irgend eines nothwendigen Wesens zugegeben wird, und man darin      
  27 übereinkommt, daß man seine Partei ergreifen müsse, worin man dasselbe      
  28 setzen wolle; denn alsdann kann man nicht schicklicher wählen, oder      
  29 man hat vielmehr keine Wahl, sondern ist genöthigt, der absoluten Einheit      
  30 der vollständigen Realität als dem Urquelle der Möglichkeit seine Stimme      
  31 zu geben. Wenn uns aber nichts treibt, uns zu entschließen, und wir lieber      
  32 diese ganze Sache dahin gestellt sein ließen, bis wir durch das volle Gewicht      
  33 der Beweisgründe zum Beifalle gezwungen würden, d. i. wenn es      
  34 bloß um Beurtheilung zu thun ist, wie viel wir von dieser Aufgabe      
  35 wissen, und was wir uns nur zu wissen schmeicheln: dann erscheint obiger      
  36 Schluß bei weitem nicht in so vortheilhafter Gestalt und bedarf Gunst, um      
  37 den Mangel seiner Rechtsansprüche zu ersetzen.      
           
           
     

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