Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 373 |
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01 | können wir doch allein den Menschen betrachten, wenn wir lediglich beobachten | ||||||
02 | und, wie es in der Anthropologie geschieht, von seinen Handlungen | ||||||
03 | die bewegenden Ursachen physiologisch erforschen wollen. | ||||||
04 | Wenn wir aber eben dieselben Handlungen in Beziehung auf die | ||||||
05 | Vernunft erwägen und zwar nicht die speculative, um jene ihrem Ursprunge | ||||||
06 | nach zu erklären, sondern ganz allein, so fern Vernunft die Ursache ist, | ||||||
07 | sie selbst zu erzeugen; mit einem Worte, vergleichen wir sie mit dieser | ||||||
08 | in praktischer Absicht, so finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung, | ||||||
09 | als die Naturordnung ist. Denn da sollte vielleicht alles das | ||||||
10 | nicht geschehen sein, was doch nach dem Naturlaufe geschehen ist und | ||||||
11 | nach seinen empirischen Gründen unausbleiblich geschehen mußte. Bisweilen | ||||||
12 | aber finden wir, oder glauben wenigstens zu finden, daß die Ideen | ||||||
13 | der Vernunft wirklich Causalität in Ansehung der Handlungen des Menschen | ||||||
14 | als Erscheinungen bewiesen haben, und daß sie darum geschehen sind, | ||||||
15 | nicht weil sie durch empirische Ursachen, nein, sondern weil sie durch | ||||||
16 | Gründe der Vernunft bestimmt waren. | ||||||
17 | Gesetzt nun, man könnte sagen, die Vernunft habe Causalität in Ansehung | ||||||
18 | der Erscheinung; könnte da wohl die Handlung derselben frei | ||||||
19 | heißen, da sie im empirischen Charakter derselben (der Sinnesart) ganz | ||||||
20 | genau bestimmt und nothwendig ist? Dieser ist wiederum im intelligibelen | ||||||
21 | Charakter (der Denkungsart) bestimmt. Die letztere kennen wir aber | ||||||
22 | nicht, sondern bezeichnen sie durch Erscheinungen, welche eigentlich nur die | ||||||
23 | Sinnesart (empirischen Charakter) unmittelbar zu erkennen geben*). Die | ||||||
24 | Handlung nun, so fern sie der Denkungsart als ihrer Ursache beizumessen | ||||||
25 | ist, erfolgt dennoch daraus gar nicht nach empirischen Gesetzen, d. i. so, daß | ||||||
26 | die Bedingungen der reinen Vernunft, sondern nur so, daß deren Wirkungen | ||||||
27 | in der Erscheinung des inneren Sinnes vorhergehen. Die reine | ||||||
28 | Vernunft, als ein bloß intelligibeles Vermögen, ist der Zeitform und | ||||||
29 | mithin auch den Bedingungen der Zeitfolge nicht unterworfen. Die Causalität | ||||||
30 | der Vernunft im intelligibelen Charakter entsteht nicht, oder | ||||||
*) Die eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns daher, selbst die unseres eigenen Verhaltens, gänzlich verborgen. Unsere Zurechnungen können nur auf den empirischen Charakter bezogen werden. Wie viel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der bloßen Natur und dem unverschuldeten Fehler des Temperaments oder dessen glücklicher Beschaffenheit ( merito fortunae ) zuzuschreiben sei, kann niemand ergründen und daher auch nicht nach völliger Gerechtigkeit richten. | |||||||
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