Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 363 |
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01 | erste ist die Verknüpfung eines Zustandes mit einem vorigen in der Sinnenwelt, | ||||||
02 | worauf jener nach einer Regel folgt. Da nun die Causalität | ||||||
03 | der Erscheinungen auf Zeitbedingungen beruht, und der vorige Zustand, | ||||||
04 | wenn er jederzeit gewesen wäre, auch keine Wirkung, die allererst in der | ||||||
05 | Zeit entspringt, hervorgebracht hätte: so ist die Causalität der Ursache | ||||||
06 | dessen, was geschieht oder entsteht, auch entstanden und Bedarf nach dem | ||||||
07 | Verstandesgrundsatze selbst wiederum eine Ursache. | ||||||
08 | Dagegen verstehe ich unter Freiheit im kosmologischen Verstande das | ||||||
09 | Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Causalität also | ||||||
10 | nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, | ||||||
11 | welche sie der Zeit nach bestimmte. Die Freiheit ist in dieser Bedeutung | ||||||
12 | eine reine transscendentale Idee, die erstlich nichts von der Erfahrung | ||||||
13 | Entlehntes enthält, zweitens deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung | ||||||
14 | bestimmt gegeben werden kann, weil es ein allgemeines Gesetz selbst der | ||||||
15 | Möglichkeit aller Erfahrung ist, daß alles, was geschieht, eine Ursache, | ||||||
16 | mithin auch die Causalität der Ursache, die selbst geschehen oder entstanden, | ||||||
17 | wiederum eine Ursache haben müsse; wodurch denn das ganze | ||||||
18 | Feld der Erfahrung, so weit es sich erstrecken mag, in einem Inbegriff | ||||||
19 | bloßer Natur verwandelt wird. Da aber auf solche Weise keine absolute | ||||||
20 | Totalität der Bedingungen im Causalverhältnisse heraus zu bekommen ist, | ||||||
21 | so schafft sich die Vernunft die Idee von einer Spontaneität, die von selbst | ||||||
22 | anheben könne zu handeln, ohne daß eine andere Ursache vorangeschickt | ||||||
23 | werden dürfe, sie wiederum nach dem Gesetze der Causalverknüpfung zur | ||||||
24 | Handlung zu bestimmen. | ||||||
25 | Es ist überaus merkwürdig, daß auf diese transscendentale Idee | ||||||
26 | der Freiheit sich der praktische Begriff derselben gründe, und jene in | ||||||
27 | dieser das eigentliche Moment der Schwierigkeiten ausmache, welche die | ||||||
28 | Frage über ihre Möglichkeit von jeher umgeben haben. Die Freiheit | ||||||
29 | im praktischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der | ||||||
30 | Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit. Denn eine Willkür ist | ||||||
31 | sinnlich, so fern sie pathologisch (durch Bewegursachen der Sinnlichkeit) | ||||||
32 | afficirt ist; sie heißt thierisch ( arbitrium brutum ), wenn sie pathologisch | ||||||
33 | necessitirt werden kann. Die menschliche Willkür ist zwar ein | ||||||
34 | arbitrium sensitivum , aber nicht brutum , sondern liberum , weil Sinnlichkeit | ||||||
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