Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 364 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | ihre Handlung nicht nothwendig macht, sondern dem Menschen | ||||||
02 | ein Vermögen beiwohnt, sich unabhängig von der Nöthigung durch sinnliche | ||||||
03 | Antriebe von selbst zu bestimmen. | ||||||
04 | Man sieht leicht, daß, wenn alle Causalität in der Sinnenwelt bloß | ||||||
05 | Natur wäre, so würde jede Begebenheit durch eine andere in der Zeit nach | ||||||
06 | nothwendigen Gesetzen bestimmt sein; und mithin, da die Erscheinungen, | ||||||
07 | so fern sie die Willkür bestimmen, jede Handlung als ihren natürlichen | ||||||
08 | Erfolg nothwendig machen müßten, so würde die Aufhebung der transscendentalen | ||||||
09 | Freiheit zugleich alle praktische Freiheit vertilgen. Denn | ||||||
10 | diese setzt voraus, daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen | ||||||
11 | sollen, und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend | ||||||
12 | war, daß nicht in unserer Willkür eine Causalität liege, unabhängig | ||||||
13 | von jenen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas | ||||||
14 | hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimmt | ||||||
15 | ist, mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen. | ||||||
17 | Es geschieht also hier, was überhaupt in dem Widerstreit einer sich | ||||||
18 | über die Grenzen möglicher Erfahrung hinauswagenden Vernunft angetroffen | ||||||
19 | wird, daß die Aufgabe eigentlich nicht physiologisch, sondern | ||||||
20 | transscendental ist. Daher die Frage von der Möglichkeit der Freiheit | ||||||
21 | die Psychologie zwar anficht, aber, da sie auf dialektischen Argumenten | ||||||
22 | der bloß reinen Vernunft beruht, sammt ihrer Auflösung lediglich die | ||||||
23 | Transscendentalphilosophie beschäftigen muß. Um nun diese, welche eine | ||||||
24 | befriedigende Antwort hierüber nicht ablehnen kann, dazu in Stand zu | ||||||
25 | setzen, muß ich zuvörderst ihr Verfahren bei dieser Aufgabe durch eine Bemerkung | ||||||
26 | näher zu bestimmen suchen. | ||||||
27 | Wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst wären, mithin Raum und | ||||||
28 | Zeit Formen des Daseins der Dinge an sich selbst: so würden die Bedingungen | ||||||
29 | mit dem Bedingten jederzeit als Glieder zu einer und derselben | ||||||
30 | Reihe gehören und daraus auch in gegenwärtigem Falle die Antinomie | ||||||
31 | entspringen, die allen transscendentalen Ideen gemein ist, daß diese Reihe | ||||||
32 | unvermeidlich für den Verstand zu groß oder zu klein ausfallen müßte. | ||||||
33 | Die dynamischen Vernunftbegriffe aber, mit denen wir uns in dieser und | ||||||
34 | der folgenden Nummer beschäftigen, haben dieses Besondere: daß, da sie | ||||||
35 | es nicht mit einem Gegenstande, als Größe betrachtet, sondern nur mit | ||||||
36 | seinem Dasein zu thun haben, man auch von der Größe der Reihe der | ||||||
37 | Bedingungen abstrahiren kann, und es bei ihnen bloß auf das dynamische | ||||||
[ Seite 363 ] [ Seite 365 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |