Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 356

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 an zu allem dem, was diese im Raume sowohl als der vergangenen      
  02 Zeit in einer Reihe begränzt, geht ins Unendliche; denn dieses      
  03 setzt die unendliche Weltgröße voraus; auch nicht: sie ist endlich; denn      
  04 die absolute Gränze ist gleichfalls empirisch unmöglich. Demnach werde      
  05 ich nichts von dem ganzen Gegenstande der Erfahrung (der Sinnenwelt),      
  06 sondern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem Gegenstande      
  07 angemessen angestellt und fortgesetzt werden soll, sagen können.      
           
  08 Auf die kosmologische Frage also wegen der Weltgröße ist die erste      
  09 und negative Antwort: die Welt hat keinen ersten Anfang der Zeit und      
  10 keine äußerste Gränze dem Raume nach.      
           
  11 Denn im entgegengesetzten Falle würde sie durch die leere Zeit einer      
  12 und durch den leeren Raum andererseits begränzt sein. Da sie nun als      
  13 Erscheinung keines von beiden an sich selbst sein kann, denn Erscheinung      
  14 ist kein Ding an sich selbst, so müßte eine Wahrnehmung der Begränzung      
  15 durch schlechthin leere Zeit oder leeren Raum möglich sein, durch      
  16 welche diese Weltenden in einer möglichen Erfahrung gegeben wären.      
  17 Eine solche Erfahrung aber, als völlig leer an Inhalt, ist unmöglich.      
  18 Also ist eine absolute Weltgränze empirisch, mithin auch schlechterdings      
  19 unmöglich*).      
           
  20 Hieraus folgt denn zugleich die bejahende Antwort: der Regressus      
  21 in der Reihe der Welterscheinungen, als eine Bestimmung der Weltgröße,      
  22 geht in indefinitum , welches eben so viel sagt, als: die Sinnenwelt hat      
  23 keine absolute Größe, sondern der empirische Regressus (wodurch sie auf      
  24 der Seite ihrer Bedingungen allein gegeben werden kann) hat seine Regel,      
  25 nämlich von einem jeden Gliede der Reihe als einem Bedingten jederzeit      
  26 zu einem noch entferntern (es sei durch eigene Erfahrung, oder den Leitfaden      
  27 der Geschichte, oder die Kette der Wirkungen und ihrer Ursachen)      
  28 fortzuschreiten und sich der Erweiterung des möglichen empirischen Gebrauchs      
           
    *) Man wird bemerken: daß der Beweis hier auf ganz andere Art geführt worden, als der dogmatische oben in der Antithesis der ersten Antinomie. Daselbst hatten wir die Sinnenwelt nach der gemeinen und dogmatischen Vorstellungsart für ein Ding, was an sich selbst vor allem Regressus seiner Totalität nach gegeben war, gelten lassen und hatten ihr, wenn sie nicht alle Zeit und alle Räume einnähme, überhaupt irgend eine bestimmte Stelle in beiden abgesprochen. Daher war die Folgerung auch anders als hier, nämlich es wurde auf die wirkliche Unendlichkeit derselben geschlossen.      
           
     

[ Seite 355 ] [ Seite 357 ] [ Inhaltsverzeichnis ]