Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 351 |
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01 | der Reihe, weil sie solche nicht als Bedingung und wie gegeben ( datum ) | ||||||
02 | vorausgesetzt, sondern nur als was Bedingtes, das nur angeblich ( dabile ) | ||||||
03 | ist und ohne Ende hinzugesetzt wird. | ||||||
04 | Ganz anders ist es mit der Aufgabe bewandt: wie weit sich der Regressus, | ||||||
05 | der von dem gegebenen Bedingten zu den Bedingungen in einer | ||||||
06 | Reihe aufsteigt, erstrecke; ob ich sagen könne: er sei ein Rückgang ins Unendliche, | ||||||
07 | oder nur ein unbestimmbar weit ( in indefinitum ) sich erstreckender | ||||||
08 | Rückgang; und ob ich also von den jetztlebenden Menschen in | ||||||
09 | der Reihe ihrer Voreltern ins Unendliche aufwärts steigen könne, oder ob | ||||||
10 | nur gesagt werden könne: daß, so weit ich auch zurückgegangen bin, niemals | ||||||
11 | ein empirischer Grund angetroffen werde, die Reihe irgendwo für | ||||||
12 | begrenzt zu halten, so daß ich berechtigt und zugleich verbunden bin, zu | ||||||
13 | jedem der Urväter noch fernerhin seinen Vorfahren aufzusuchen, obgleich | ||||||
14 | eben nicht vorauszusetzen. | ||||||
15 | Ich sage demnach: wenn das Ganze in der empirischen Anschauung | ||||||
16 | gegeben worden, so geht der Regressus in der Reihe seiner inneren Bedingungen | ||||||
17 | ins Unendliche. Ist aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von | ||||||
18 | welchem der Regressus zur absoluten Totalität allererst fortgehen soll: so | ||||||
19 | findet nur ein Rückgang in unbestimmte Weite ( in indefinitum ) statt. So | ||||||
20 | muß von der Theilung einer zwischen ihren Grenzen gegebenen Materie | ||||||
21 | (eines Körpers) gesagt werden: sie gehe ins Unendliche. Denn diese | ||||||
22 | Materie ist ganz, folglich mit allen ihren möglichen Theilen in der empirischen | ||||||
23 | Anschauung gegeben. Da nun die Bedingung dieses Ganzen sein | ||||||
24 | Theil und die Bedingung dieses Theils der Theil vom Theile u. s. w. ist, | ||||||
25 | und in diesem Regressus der Decomposition niemals ein unbedingtes | ||||||
26 | (untheilbares) Glied dieser Reihe von Bedingungen angetroffen wird, so | ||||||
27 | ist nicht allein nirgend ein empirischer Grund, in der Theilung aufzuhören, | ||||||
28 | sondern die ferneren Glieder der fortzusetzenden Theilung sind selbst | ||||||
29 | vor dieser weitergehenden Theilung empirisch gegeben, d. i. die Theilung | ||||||
30 | geht ins Unendliche. Dagegen ist die Reihe der Voreltern zu einem gegebenen | ||||||
31 | Menschen in keiner möglichen Erfahrung in ihrer absoluten Totalität | ||||||
32 | gegeben; der Regressus aber geht doch von jedem Gliede dieser Zeugung | ||||||
33 | zu einem höheren, so daß keine empirische Grenze anzutreffen ist, | ||||||
34 | die ein Glied als schlechthin unbedingt darstellte. Da aber gleichwohl | ||||||
35 | auch die Glieder, die hiezu die Bedingung abgeben könnten, nicht in der | ||||||
36 | empirischen Anschauung des ganzen schon vor dem Regressus liegen: so | ||||||
37 | geht dieser nicht ins Unendliche (der Theilung des Gegebenen), sondern in | ||||||
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