Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 345 |
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01 | Welt hat keinen Anfang, sondern sie ist von Ewigkeit her, doch einer Recht | ||||||
02 | haben müsse. Ist aber dieses, so ist es, weil die Klarheit auf beiden Seiten | ||||||
03 | gleich ist, doch unmöglich, jemals auszumitteln, auf welcher Seite das | ||||||
04 | Recht sei; und der Streit dauert nach wie vor, wenn die Parteien gleich | ||||||
05 | bei dem Gerichtshofe der Vernunft zur Ruhe verwiesen worden. Es bleibt | ||||||
06 | also kein Mittel übrig, den Streit gründlich und zur Zufriedenheit beider | ||||||
07 | Theile zu endigen, als daß, da sie einander doch so schön widerlegen können, | ||||||
08 | sie endlich überführt werden, daß sie um Nichts streiten, und ein gewisser | ||||||
09 | transscendentaler Schein ihnen da eine Wirklichkeit vorgemalt habe, wo | ||||||
10 | keine anzutreffen ist. Diesen Weg der Beilegung eines nicht abzuurtheilenden | ||||||
11 | Streits wollen wir jetzt einschlagen. | ||||||
12 | Der eleatische Zeno, ein subtiler Dialektiker, ist schon vom Plato | ||||||
13 | als ein muthwilliger Sophist darüber sehr getadelt worden, daß er, um | ||||||
14 | seine Kunst zu zeigen, einerlei Satz durch scheinbare Argumente zu beweisen | ||||||
15 | und bald darauf durch andere, ebenso starke, wieder umzustürzen suchte. | ||||||
16 | Er behauptete, Gott (vermuthlich war es bei ihm nichts als die Welt) sei | ||||||
17 | weder endlich noch unendlich, er sei weder in Bewegung noch in Ruhe, sei | ||||||
18 | keinem andern Dinge weder ähnlich noch unähnlich. Es schien denen, die | ||||||
19 | ihn hierüber beurtheilten, er habe zwei einander widersprechende Sätze | ||||||
20 | gänzlich ableugnen wollen, welches ungereimt ist. Allein ich finde nicht, | ||||||
21 | daß ihm dieses mit Recht zur Last gelegt werden könne. Den ersteren | ||||||
22 | dieser Sätze werde ich bald näher beleuchten. Was die übrigen betrifft, | ||||||
23 | wenn er unter dem Worte: Gott das Universum verstand, so mußte er | ||||||
24 | allerdings sagen: daß dieses weder in seinem Orte beharrlich gegenwärtig | ||||||
25 | (in Ruhe) sei, noch denselben verändere (sich bewege), weil alle Örter nur | ||||||
26 | im Univers, dieses selbst also in keinem Orte ist. Wenn das Weltall | ||||||
27 | alles, was existirt, in sich faßt, so ist es auch so fern keinem andern | ||||||
28 | Dinge weder ähnlich noch unähnlich, weil es außer ihm kein anderes | ||||||
29 | Ding giebt, mit dem es könnte verglichen werden. Wenn zwei einander | ||||||
30 | entgegengesetzte Urtheile eine unstatthafte Bedingung voraussetzen, so | ||||||
31 | fallen sie unerachtet ihres Widerstreits (der gleichwohl kein eigentlicher | ||||||
32 | Widerspruch ist) alle beide weg, weil die Bedingung wegfällt, unter der | ||||||
33 | allein jeder dieser Sätze gelten sollte. | ||||||
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