Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 344

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 das Bedingte in transscendentaler Bedeutung einer reinen Kategorie,      
  02 der Untersatz aber in empirischer Bedeutung eines auf bloße Erscheinungen      
  03 angewandten Verstandesbegriffs nehme, folglich derjenige      
  04 dialektische Betrug darin angetroffen werde, den man Sophisma figurae      
  05 dictionis nennt. Dieser Betrug ist aber nicht erkünstelt, sondern eine      
  06 ganz natürliche Täuschung der gemeinen Vernunft. Denn durch dieselbe      
  07 setzen wir (im Obersatze) die Bedingungen und ihre Reihe gleichsam unbesehen      
  08 voraus, wenn etwas als bedingt gegeben ist, weil dieses nichts      
  09 andres, als die logische Forderung ist, vollständige Prämissen zu einem      
  10 gegebenen Schlußsatze anzunehmen; und da ist in der Verknüpfung des      
  11 Bedingten mit seiner Bedingung keine Zeitordnung anzutreffen: sie      
  12 werden an sich als zugleich gegeben vorausgesetzt. Ferner ist es eben      
  13 so natürlich (im Untersatze), Erscheinungen als Dinge an sich und eben      
  14 sowohl dem bloßen Verstande gegebene Gegenstände anzusehen, wie es      
  15 im Obersatze geschah, da ich von allen Bedingungen der Anschauung, unter      
  16 denen allein Gegenstände gegeben werden können, abstrahirte. Nun      
  17 hatten wir aber hiebei einen merkwürdigen Unterschied zwischen den Begriffen      
  18 übersehen. Die Synthesis des Bedingten mit seiner Bedingung      
  19 und die ganze Reihe der letzteren (im Obersatze) führte gar nichts von Einschränkung      
  20 durch die Zeit und keinen Begriff der Succession bei sich. Dagegen      
  21 ist die empirische Synthesis und die Reihe der Bedingungen in      
  22 der Erscheinung (die im Untersatze subsumirt wird) nothwendig successiv      
  23 und nur in der Zeit nach einander gegeben; folglich konnte ich die absolute      
  24 Totalität der Synthesis und der dadurch vorgestellten Reihe hier      
  25 nicht eben so wohl, als dort voraussetzen, weil dort alle Glieder der Reihe      
  26 an sich (ohne Zeitbedingung) gegeben sind, hier aber nur durch den successiven      
  27 Regressus möglich sind, der nur dadurch gegeben ist, daß man      
  28 ihn wirklich vollführt.      
           
  29 Nach der Überweisung eines solchen Fehltritts des gemeinschaftlich      
  30 zum Grunde (der kosmologischen Behauptungen) gelegten Arguments      
  31 können beide streitende Theile mit Recht als solche, die ihre Forderung      
  32 auf keinen gründlichen Titel gründen, abgewiesen werden. Dadurch aber      
  33 ist ihr Zwist noch nicht in so fern geendigt, daß sie überführt worden      
  34 wären, sie oder einer von beiden hätte in der Sache selbst, die er behauptet,      
  35 (im Schlußsatze) Unrecht, wenn er sie gleich nicht auf tüchtige Beweisgründe      
  36 zu bauen wußte. Es scheint doch nichts klärer, als daß von zweien,      
  37 deren der eine behauptet: die Welt hat einen Anfang, der andere: die      
           
     

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