Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 332

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 daß sie ihren Gegenstand und die zu dessen Begriff erforderliche empirische      
  02 Synthesis als gegeben voraussetzen können; und die Frage, die aus ihnen      
  03 entspringt, betrifft nur den Fortgang dieser Synthesis, so fern er absolute      
  04 Totalität enthalten soll, welche letztere nichts Empirisches mehr ist, indem      
  05 sie in keiner Erfahrung gegeben werden kann. Da nun hier lediglich von      
  06 einem Dinge als Gegenstande einer möglichen Erfahrung und nicht als      
  07 einer Sache an sich selbst die Rede ist, so kann die Beantwortung der      
  08 transscendenten kosmologischen Frage außer der Idee sonst nirgend liegen,      
  09 denn sie betrifft keinen Gegenstand an sich selbst; und in Ansehung      
  10 der möglichen Erfahrung wird nicht nach demjenigen gefragt, was in      
  11 concreto in irgend einer Erfahrung gegeben werden kann, sondern was      
  12 in der Idee liegt, der sich die empirische Synthesis bloß nähern soll: also      
  13 muß sie aus der Idee allein aufgelöset werden können; denn diese ist ein      
  14 bloßes Geschöpf der Vernunft, welche also die Verantwortung nicht von      
  15 sich abweisen und auf den unbekannten Gegenstand schieben kann.      
  16 Es ist nicht so außerordentlich, als es anfangs scheint: daß eine      
  17 Wissenschaft in Ansehung aller in ihren Inbegriff gehörigen Fragen      
  18 ( quaestiones domesticae ) lauter gewisse Auflösungen fordern und erwarten      
  19 könne, ob sie gleich zur Zeit noch vielleicht nicht gefunden sind. Außer      
  20 der Transscendentalphilosophie giebt es noch zwei reine Vernunftwissenschaften,      
  21 eine bloß speculativen, die andere praktischen Inhalts: reine      
  22 Mathematik und reine Moral. Hat man wohl jemals gehört: daß      
  23 gleichsam wegen einer nothwendigen Unwissenheit der Bedingungen es      
  24 für ungewiß sei ausgegeben worden, welches Verhältniß der Durchmesser      
  25 zum Kreise ganz genau in Rational= oder Irrationalzahlen habe? Da es      
  26 durch erstere gar nicht congruent gegeben werden kann, durch die zweite      
  27 aber noch nicht gefunden ist, so urtheilte man, daß wenigstens die Unmöglichkeit      
  28 solcher Auflösung mit Gewißheit erkannt werden könne, und      
  29 Lambert gab einen Beweis davon. In den allgemeinen Principien der      
  30 Sitten kann nichts Ungewisses sein, weil die Sätze entweder ganz und gar      
  31 nichtig und sinnleer sind, oder bloß aus unseren Vernunftbegriffen fließen      
  32 müssen. Dagegen giebt es in der Naturkunde eine Unendlichkeit von Vermuthungen,      
  33 in Ansehung deren niemals Gewißheit erwartet werden kann,      
           
     

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