Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 331

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 was wir erkennen können) demjenigen beizählt, wovon wir zwar so viel      
  02 Begriff haben, um eine Frage aufzuwerfen, es uns aber gänzlich an      
  03 Mitteln oder am Vermögen fehlt, sie jemals zu beantworten.      
           
  04 Ich behaupte nun, daß die Transscendentalphilosophie unter allem      
  05 speculativen Erkenntniß dieses Eigenthümliche habe: daß gar keine Frage,      
  06 welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrifft, für eben      
  07 dieselbe menschliche Vernunft unauflöslich sei, und daß kein Vorschützen      
  08 einer unvermeidlichen Unwissenheit und unergründlichen Tiefe der Aufgabe      
  09 von der Verbindlichkeit frei sprechen könne, sie gründlich und vollständig      
  10 zu beantworten, weil eben derselbe Begriff, der uns in den Stand setzt zu      
  11 fragen, durchaus uns auch tüchtig machen muß, auf diese Frage zu antworten,      
  12 indem der Gegenstand außer dem Begriffe gar nicht angetroffen      
  13 wird (wie bei Recht und Unrecht).      
           
  14 Es sind aber in der Transscendentalphilosophie keine andere als nur      
  15 die kosmologischen Fragen, in Ansehung deren man mit Recht eine genugthuende      
  16 Antwort, die die Beschaffenheit des Gegenstandes betrifft, fordern      
  17 kann, ohne daß dem Philosophen erlaubt ist, sich derselben dadurch zu entziehen,      
  18 daß er undurchdringliche Dunkelheit vorschützt; und diese Fragen      
  19 können nur kosmologische Ideen betreffen. Denn der Gegenstand mu      
  20 empirisch gegeben sein, und die Frage geht nur auf die Angemessenheit      
  21 desselben mit einer Idee. Ist der Gegenstand transscendental und also      
  22 selbst unbekannt, z. B. ob das Etwas, dessen Erscheinung (in uns selbst)      
  23 das Denken ist, (Seele) ein an sich einfaches Wesen sei, ob es eine Ursache      
  24 aller Dinge insgesammt gebe, die schlechthin nothwendig ist, u. s. w.: so      
  25 sollen wir zu unserer Idee einen Gegenstand suchen, von welchem wir gestehen      
  26 können, daß er uns unbekannt, aber deswegen doch nicht unmöglich      
  27 sei.*) Die kosmologischen Ideen haben allein das Eigenthümliche an sich,      
           
    *) Man kann zwar auf die Frage, was ein transscendentaler Gegenstand für eine Beschaffenheit habe, keine Antwort geben, nämlich was er sei, aber wohl, da die Frage selbst nichts sei, darum weil kein Gegenstand derselben gegeben worden. Daher sind alle Fragen der transscendentalen Seelenlehre auch beantwortlich und wirklich beantwortet: denn sie betreffen das transscendentale Subject aller inneren Erscheinungen, welches selbst nicht Erscheinung ist und also nicht als Gegenstand gegeben ist, und worauf keine der Kategorien (auf welche doch eigentlich die Frage gestellt ist) Bedingungen ihrer Anwendung antreffen. Also ist hier der Fall, da der gemeine Ausdruck gilt, daß keine Antwort auch eine Antwort sei, nämlich daß eine Frage nach der Beschaffenheit desjenigen Etwas, was durch kein bestimmtes Prädicat [Seitenumbruch] gedacht werden kann, weil es gänzlich außer der Sphäre der Gegenstände gesetzt wird, die uns gegeben werden können, gänzlich nichtig und leer sei.      
           
     

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