Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 275 |
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01 | Disciplin, welche der speculativen Vernunft in diesem Felde unüberschreitbare | ||||||
02 | Grenzen setzt, einerseits um sich nicht dem seelenlosen Materialism | ||||||
03 | in den Schooß zu werfen, andererseits sich nicht in dem für uns im | ||||||
04 | Leben grundlosen Spiritualism herumschwärmend zu verlieren, sondern | ||||||
05 | uns vielmehr erinnert, diese Weigerung unserer Vernunft, den neugierigen, | ||||||
06 | über dieses Leben hinaus reichenden Fragen befriedigende Antwort | ||||||
07 | zu geben, als einen Wink derselben anzusehen, unser Selbsterkenntniß von | ||||||
08 | der fruchtlosen überschwenglichen Speculation zum fruchtbaren praktischen | ||||||
09 | Gebrauche anzuwenden, welcher, wenn er gleich auch nur immer auf Gegenstände | ||||||
10 | der Erfahrung gerichtet ist, seine Principien doch höher hernimmt | ||||||
11 | und das Verhalten so bestimmt, als ob unsere Bestimmung unendlich | ||||||
12 | weit über die Erfahrung, mithin über dieses Leben hinaus reiche. | ||||||
13 | Man sieht aus allem diesem, daß ein bloßer Mißverstand der rationalen | ||||||
14 | Psychologie ihren Ursprung gebe. Die Einheit des Bewußtseins, | ||||||
15 | welche den Kategorien zum Grunde liegt, wird hier für Anschauung des | ||||||
16 | Subjects als Objects genommen und darauf die Kategorie der Substanz | ||||||
17 | angewandt. Sie ist aber nur die Einheit im Denken, wodurch allein | ||||||
18 | kein Object gegeben wird, worauf also die Kategorie der Substanz, als | ||||||
19 | die jederzeit gegebene Anschauung voraussetzt, nicht angewandt, mithin | ||||||
20 | dieses Subject gar nicht erkannt werden kann. Das Subject der Kategorien | ||||||
21 | kann also dadurch, daß es diese denkt, nicht von sich selbst als einem | ||||||
22 | Objecte der Kategorien einen Begriff bekommen; denn um diese zu denken, | ||||||
23 | muß es sein reines Selbstbewußtsein, welches doch hat erklärt werden | ||||||
24 | sollen, zum Grunde legen. Eben so kann das Subject, in welchem die | ||||||
25 | Vorstellung der Zeit ursprünglich ihren Grund hat, sein eigen Dasein in | ||||||
26 | der Zeit dadurch nicht bestimmen, und wenn das letztere nicht sein kann, | ||||||
27 | so kann auch das erstere als Bestimmung seiner selbst (als denkenden Wesens | ||||||
28 | überhaupt) durch Kategorien nicht stattfinden.*) | ||||||
29 | So verschwindet denn ein über die Grenzen möglicher Erfahrung | ||||||
30 | hinaus versuchtes und doch zum höchsten Interesse der Menschheit gehöriges | ||||||
31 | Erkenntniß, so weit es der speculativen Philosophie verdankt werden | ||||||
*) Das: Ich denke, ist, wie schon gesagt, ein empirischer Satz und hält den Satz: Ich existire, in sich. Ich kann aber nicht sagen: alles, was denkt, existirt; denn da [Seitenumbruch] würde die Eigenschaft des Denkens alle Wesen, die sie besitzen, zu nothwendigen Wesen machen. Daher kann meine Existenz auch nicht aus dem Satze: Ich denke, als gefolgert angesehen werden, wie Cartesius dafür hielt, (weil sonst der Obersatz: alles, was denkt, existirt, vorausgehen müßte) sondern ist mit ihm identisch. Er drückt eine unbestimmte empirische Anschauung, d. i. Wahrnehmung, aus, (mithin beweiset er doch, daß schon Empfindung, die folglich zur Sinnlichkeit gehört, diesem Existentialsatz zum Grunde liege) geht aber vor der Erfahrung vorher, die das Object der Wahrnehmung durch die Kategorie in Ansehung der Zeit bestimmen soll; und die Existenz ist hier noch keine Kategorie, als welche nicht auf ein unbestimmt gegebenes Object, sondern nur ein solches, davon man einen Begriff hat, und wovon man wissen will, ob es auch außer diesem Begriffe gesetzt sei, oder nicht, Beziehung hat. Eine unbestimmte Wahrnehmung bedeutet hier nur etwas Reales, das gegeben worden und zwar nur zum Denken überhaupt, also nicht als Erscheinung, auch nicht als Sache an sich selbst (Noumenon), sondern als Etwas, was in der That existirt und in dem Satze: Ich denke, als ein solches bezeichnet wird. Denn es ist zu merken, daß, wenn ich den Satz: Ich denke, einen empirischen Satz genannt habe, Ich dadurch nicht sagen will, das Ich in diesem Satze sei empirische Vorstellung; vielmehr ist sie rein intellectuell, weil sie zum Denken überhaupt gehört. Allein ohne irgend eine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgiebt, würde der Actus: Ich denke, doch nicht stattfinden, und das Empirische ist nur die Bedingung der Anwendung oder des Gebrauchs des reinen intellectuellen Vermögens. | |||||||
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