Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 274 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Weil hier nun im zweiten Satze nicht bestimmt wird, ob ich nur als | ||||||
02 | Subject und nicht auch als Prädicat eines andern existiren und gedacht | ||||||
03 | werden könne, so ist der Begriff eines Subjects hier bloß logisch genommen, | ||||||
04 | und es bleibt unbestimmt, ob darunter Substanz verstanden werden solle | ||||||
05 | oder nicht. Allein in dem dritten Satze wird die absolute Einheit der Apperception, | ||||||
06 | das einfache Ich, in der Vorstellung, darauf sich alle Verbindung | ||||||
07 | oder Trennung, welche das Denken ausmacht, bezieht, auch für sich | ||||||
08 | wichtig, wenn ich gleich noch nichts über des Subjects Beschaffenheit oder | ||||||
09 | Subsistenz ausgemacht habe. Die Apperception ist etwas Reales, und | ||||||
10 | die Einfachheit derselben liegt schon in ihrer Möglichkeit. Nun ist im | ||||||
11 | Raum nichts Reales, was einfach wäre; denn Punkte (die das einzige | ||||||
12 | Einfache im Raum ausmachen) sind bloß Grenzen, nicht selbst aber etwas, | ||||||
13 | was den Raum als Theil auszumachen dient. Also folgt daraus die Unmöglichkeit | ||||||
14 | einer Erklärung meiner, als bloß denkenden Subjects, Beschaffenheit | ||||||
15 | aus Gründen des Materialisms. Weil aber mein Dasein | ||||||
16 | in dem ersten Satze als gegeben betrachtet wird, indem es nicht heißt: ein | ||||||
17 | jedes denkende Wesen existirt (welches zugleich absolute Nothwendigkeit | ||||||
18 | und also zu viel von ihnen sagen würde), sondern nur: ich existire denkend, | ||||||
19 | so ist er empirisch und enthält die Bestimmbarkeit meines Daseins bloß | ||||||
20 | in Ansehung meiner Vorstellungen in der Zeit. Da ich aber wiederum | ||||||
21 | hiezu zuerst etwas Beharrliches bedarf, dergleichen mir, so fern ich mich | ||||||
22 | denke, gar nicht in der inneren Anschauung gegeben ist: so ist die Art, wie | ||||||
23 | ich existire, ob als Substanz oder als Accidenz, durch dieses einfache | ||||||
24 | Selbstbewußtsein gar nicht zu bestimmen möglich. Also wenn der Materialism | ||||||
25 | zur Erklärungsart meines Daseins untauglich ist, so ist der | ||||||
26 | Spiritualism zu derselben eben sowohl unzureichend; und die Schlußfolge | ||||||
27 | ist, daß wir auf keine Art, welche es auch sei, von der Beschaffenheit | ||||||
28 | unserer Seele, die die Möglichkeit ihrer abgesonderten Existenz überhaupt | ||||||
29 | betrifft, irgend etwas erkennen können. | ||||||
30 | Und wie sollte es auch möglich sein, durch die Einheit des Bewußtseins, | ||||||
31 | die wir selbst nur dadurch kennen, daß wir sie zur Möglichkeit der | ||||||
32 | Erfahrung unentbehrlich brauchen, über Erfahrung (unser Dasein im | ||||||
33 | Leben) hinaus zu kommen und sogar unsere Erkenntniß auf die Natur | ||||||
34 | aller denkenden Wesen überhaupt durch den empirischen, aber in Ansehung | ||||||
35 | aller Art der Anschauung unbestimmten Satz: Ich denke, zu erweitern? | ||||||
36 | Es giebt also keine rationale Psychologie als Doctrin, die uns | ||||||
37 | einen Zusatz zu unserer Selbsterkenntniß verschaffte, sondern nur als | ||||||
[ Seite 273 ] [ Seite 275 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |