Kant: AA II, Von den verschiedenen Racen ... , Seite 440 |
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01 | dieses noch nicht beobachtet hat) einer überhaupt verringerten Blutwärme, | ||||||
02 | die sie fähig macht, die Hitze des Klima ohne Nachtheil zu ertragen. | ||||||
03 | Da hat man nun Muthmaßungen, die wenigstens Grund genug | ||||||
04 | haben, um andern Muthmaßungen die Wage zu halten, welche die Verschiedenheiten | ||||||
05 | der Menschengattung so unvereinbar finden, daß sie deshalb | ||||||
06 | lieber viele Localschöpfungen annehmen. Mit Voltairen sagen: Gott, | ||||||
07 | der das Rennthier in Lappland schuf, um das Moos dieser kalten Gegenden | ||||||
08 | zu verzehren, der schuf auch daselbst den Lappländer, um dieses Rennthier | ||||||
09 | zu essen, ist kein übler Einfall für einen Dichter, aber ein schlechter Behelf | ||||||
10 | für den Philosophen, der die Kette der Naturursachen nicht verlassen darf, | ||||||
11 | als da, wo er sie augenscheinlich an das unmittelbare Verhängniß geknüpft | ||||||
12 | sieht. | ||||||
13 | Man schreibt jetzt mit gutem Grunde die verschiedenen Farben der | ||||||
14 | Gewächse dem durch unterschiedliche Säfte gefällten Eisen zu. Da alles | ||||||
15 | Thierblut Eisen enthält, so hindert uns nichts, die verschiedene Farbe | ||||||
16 | dieser Menschenracen eben derselben Ursache beizumessen. Auf diese Art | ||||||
17 | würde etwa das Salzsaure, oder das phosphorisch Saure, oder das flüchtig | ||||||
18 | Laugenhafte der ausführenden Gefäße der Haut die Eisentheilchen | ||||||
19 | im Reticulum roth, oder schwarz, oder gelb niederschlagen. In dem | ||||||
20 | Geschlechte der Weißen würde aber dieses in den Säften aufgelösete Eisen | ||||||
21 | gar nicht niedergeschlagen und dadurch zugleich die vollkommene Mischung | ||||||
22 | der Säfte und Stärke dieses Menschenschlags vor den übrigen bewiesen. | ||||||
23 | Doch dieses ist nur eine flüchtige Anreizung zur Untersuchung in einem | ||||||
24 | Felde, worin ich zu fremd bin, um mit einigem Zutraun auch nur Muthmaßungen | ||||||
25 | zu wagen. | ||||||
26 | Wir haben vier menschliche Racen gezählt, worunter alle Mannigfaltigkeiten | ||||||
27 | dieser Gattung sollen begriffen sein. Alle Abartungen aber | ||||||
28 | bedürfen doch einer Stammgattung, die wir entweder für schon erloschen | ||||||
29 | ausgeben oder aus den vorhandenen diejenige aussuchen müssen, womit | ||||||
30 | wir die Stammgattung am meisten vergleichen können. Freilich kann man | ||||||
31 | nicht hoffen, jetzt irgendwo in der Welt die ursprüngliche menschliche Gestalt | ||||||
32 | unverändert anzutreffen. Eben aus diesem Hange der Natur, dem Boden | ||||||
33 | allerwärts in langen Zeugungen anzuarten, muß jetzt die Menschengestalt | ||||||
34 | allenthalben mit Localmodification behaftet sein. Allein der Erdstrich | ||||||
35 | vom 31sten bis zum 52sten Grade der Breite in der alten Welt (welche | ||||||
36 | auch in Ansehung der Bevölkerung den Namen der alten Welt zu verdienen | ||||||
37 | scheint) wird mit Recht für denjenigen gehalten, in welchem die glücklichste | ||||||
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